Ainyael - Reise durch Winterquell

 

Ich schüttelte mich. Es war fast schon ätzend kalt. Dieses Klima würde das letzte sein, an das ich mich gewöhnen würde. Neben mir erlosch das Geräusch von Schritten, machte einem Rascheln von Stoff Platz. „Gehen wir weiter.“ Ich schüttelte den Kopf. „Mir ist kalt.“ Eine kurze Pause folgte, in der ich das Gefühl hatte, Ithedilyen würde mich anlächeln. Tatsächlich vernahm ich in seinen folgenden Worten einen amüsierten Unterton. „Du bist eben ein Waldkind. Komm, weiter. Du bist dick genug angezogen, um nicht allzu schnell auszukühlen.“ Doch ich stockte noch immer. Unwillkürlich dachte ich an Lina, mein Mädchen, das jetzt im Tempel war. Sie war zwar gut aufgehoben bei den Priesterinnen, aber es war das erste Mal, dass wir derart lang getrennt waren. Was tat sie? Wie ging es ihr? Vermisste sie mich? Ithedilyens Hand lag auf einmal auf meiner Schulter. Ich spürte, wie er sich zu mir lehnte. Sein Atem strich über meine Wange, als er sprach. „Sie kommt klar. Bewahre dir einen kühlen Kopf, bleib berechnend und du wirst sie bald wieder haben.“ Ich nickte, holte Luft und machte einen Schritt vor.

 

Zwei Wochen waren wir jetzt in Winterquell unterwegs. Eigentlich waren wir zu fünft. Allerdings waren Zìn und Sho seit Tagen wie verschollen. Und Bruder Dunkelkralle folgte seinen eigenen Wegen. Ithedilyen verließ meine Seite nicht, wusste er wohl, dass ich ohne ihn und seine Orientierung hier aufgebracht bis verloren wäre. Er ging vor mir, stapfte Spuren in den Schnee, damit ich es leichter hatte. Und ich war im unendlich dankbar dafür. Wir hatten die Goblinsiedlung verlassen, um mir das Überleben im Schnee nahe zu bringen. Zeltbau ging mir leicht von der Hand, aber Jagd und Wegfindung hier waren vollkommen unmöglich für mich. Wir wanderten ohne Ziel einfach umher, hatten nebst Hunger und Durst bereits zwei Schneestürme überstanden. Und auch jetzt fing langsam an sich der Luftdruck zu ändern. Auch heute würde es eine unruhige Ruhephase werden. Von der Umgebung bekam ich so gut wie nichts mit. Nicht einmal das Pfeifen half mir hier im Schnee weiter, da der Ton verschluckt wurde, bevor er sinnvoll etwas treffen konnte. Hier war ich wirklich blind. Der einzige Eindruck, den ich seit Tagen unverändert von dieser Landschaft entgegen geschmettert bekam, war Kälte. Es war bitterkalt. Wie konnten hier nur Leute gerne leben?

 

Ithedilyens Schritte vor mir erstarben wieder. Sofort stoppte auch ich. Ich vernahm weitere Schritte, allerdings in einem Vierertakt. Ich spitzte die Ohren, musste mir aber sofort eingestehen, dass ich ohnehin nicht mehr als das wahrnehmen können würde. „Senki.“, meinte Ithe erklärend vor mir. Ich nickte, hob dann aber fragend eine Braue. „Was will er denn?“ Wieder schien er zu Schmunzeln. „Er hat ein interessantes Gelände hier aufgespürt. Vor uns sind einige gekippte Baumstämme. Vermutlich vom Wind vorgestern.“ - „Ah... und.. was ist daran interessant?“ Ich seufzte, schlang mir die Arme um den Körper. Ein leichtes Zittern setzte ein. „Bringen wir dich auf Touren und über den Schnee. Ausgleichende Gerechtigkeit.“ Er wandte sich zu mir herum, dann spürte ich seine Arme in den Kniekehlen und um die Schultern. Überrascht hielt ich mich an ihm fest. „Ouh!“ Wieder schien er amüsiert. „Ich setze dich auf dem ersten Stumpf ab. Dann mach dir einen Überblick.“

 

Vorsichtig ließ er mich herunter. Mit den Füßen tastete ich den Stumpf ab, aber er war gerade groß genug für mich Platz zu bieten. Mit gerunzelter Stirn stieß ich einen Pfiff aus und wartete einen Moment. Ein verwaschenes Bild kam wieder zu mir zurück. Ein relativ großes Areal war schneebedeckt, allerdings von härteren, verschiedenartig geformten Plattformen durchzogen. Das mussten jene Baumstämme sein, die er gemeint hatte. Seine Silhouette war gerade dabei, selbst auf einen der Stämme zu klettern. Nun schmunzelte ich und erwartete seinen ersten Angriff. Ab und an kamen ihm diese Ideen, in denen er mich neuen Erfahrungen aussetzte. In jenen Momenten spürte man die viertausend Jahre, die er älter war.

 

Den Gedanken konnte ich nicht einmal mehr zu Ende denken, da erklang bereits sein Pfiff. Er kündigte an, wann er zum ersten Angriff ansetzte, danach war ich stets auf mich gestellt. Ein Schritt nach links und ich hatte den Stamm gewechselt, stieß einen Pfiff in seine Richtung aus. Ich realisierte, dass er bereits sehr nahe war, vielleicht noch zwei Meter. Ein Schwung, eine Drehung, ein Schritt, ich war wieder einen Baumstamm weiter. Ithedilyen gab keinen Laut von sich. Nur das leise Rascheln seiner Kleidung gab ab und an wieder, wo er war, ohne dass ich pfeifen musste. Simpel übernahm er so die Führung, trieb mich auf den Baumstümpfen umher. Minutenlang suchte ich einen Stamm nach dem anderen mit den Füßen. Sie waren glatt, ließen mich immer wieder straucheln. Binnen weniger Schritte lag meine volle Aufmerksamkeit auf meinen Füßen und meinem Verfolger im Nacken. Links, rechts, vorwärts und eine Drehung. Weiter, kein Weg nach vorn, rechts. Schneller und schneller sprang ich von einem Stamm zum nächsten, Ithedilyen stets direkt hinter mir. So dauerte es nicht lang, bis ich sämtliche Stämme angegangen war und mir ein Bild im Gedächtnis kartographiert hatte.

 

Mit einem weiten Satz ließ ich ihn schließlich hinter mir, machte kehrt und setzte wieder auf ihn zu. Ohne auch nur die Chance gehabt zu haben, ihn zu berühren, von einem Treffer mal ganz abgesehen, war er ebenso flink fort gesprungen. Ich wechselte den Stamm. In der Bewegung hatte ich die größten Chancen überhaupt etwas zu bewirken. Er war vielleicht langsamer als ich, brachte aber eine erheblich größere Kampferfahrung mit sich, die er stets geschickt gegen mich zu verwenden wusste. Einen Moment strauchelte ich, rutschte auf dem Eis überzogenen Stamm mit einem Fuß weg. Innerlich wusste ich bereits, was gleich geschehen würde.

 

Noch während ich meinen Stand zu stabilisieren suchte, hörte ich links von mir das Rascheln von Stoff. Leichte Panik stieg in mir auf, erwartete ich doch einen Schlag im Oberkörperbereich. Doch er war heute gnädig zu mir, wechselte auf die rechte Seite und verschaffte mir so einen Moment, in dem ich mich mitteln und in die Hocke gehen konnte. Sein Angriff verlief ins Leere, wie ich an dem Luftzug direkt über meinem Kopf spüren konnte. Ein Hechtsprung nach vorn brachte mich aus seiner Reichweite, vorerst. Hart kamen meine Hände auf dem vereisten Holz auf, ließ Schmerz durch die Finger laufen. Dennoch brachte ich es zustande, den Schwung zu nutzen, einen Überschlag hinzubekommen und halbwegs sicher einen Stamm weiter wieder mit den Füßen aufzukommen und gerade zu stehen. Tief holte ich Luft, wurde ich mir doch gerade bewusst, dass diese Leistung eben selbst für einen Kaldorei eine sehr große gewesen war. Auch Ithedilyen schien kurz irritiert. Ich blieb stumm, schüttelte den Kopf und setzte zum Gegenangriff an.

 

Ich nahm den Stumpf links von mir, dann den geradezu und befand mich nun auf seiner Höhe. Weiter ging es nach rechts, er folgte mir. Ich deutete einen Schritt an, der mich geradewegs von ihm fortgebracht hätte, nahm dann aber den Stamm rechts davon. Minimal nachdem ich den Stamm frei machte, landete er bereits. Und kurz darauf hatte er bereits meine Schulter an seinem Oberkörper. Mit voller Wucht war ich ihn angesprungen, hoffte nun, dass er rutschen würde. Er rutschte auch. Nur eben nicht allein.

 

Ithedilyen stieß einen überraschten Laut aus. Noch bevor ich reagieren konnte, hatte er einen Arm um mich geschlungen und sich in Richtung des Bodens ausgedreht. So nahm er uns beide vom Stamm herunter. Ein dumpfer, aber lauter Aufprall folgte, Schnee stob auf und begrub uns unter sich. Schwer atmend blieb ich auf ihm liegen, fühlte das rasche Heben und Senken seines Brustkorbes. In jeder anderen Situation hätte man diese Position als erotisch bestimmen können. Doch nur allzu schnell wurde ich mir wieder bewusst, wie kalt Schnee war. Zu kalt. Ich richtete mich schnell auf, kam auf die Beine und schlang wieder die Arme um mich. Nach einem Schritt beiseite, hörte ich wieder Kleiderrascheln, demnach musste auch Ithedilyen aufgestanden sein. Er klopfte seine Kleidung ab, während er sprach. „Ich wusste zwar, dass du gelenkig bist, aber das war... überraschend.“ Ich gluckste in seine Richtung. „Tja, ab und an lernst du eben auch was von mir!“ Doch meine scherzhafte Provokation lief spontan ins Leere. „Nicht nur ab und an.“, war seine ruhige und ernste Antwort. Wieder hatte er mich sprachlos gemacht.Er ging ein paar Schritte auf mich zu, legte eine Hand auf meine Schulter, damit ich wusste, wo er war. „Gehen wir einen Lagerplatz suchen.“ Und damit drehte er mich bereits weg, lief vor und stapfte mir Fußabdrücke in den Schnee vor.

 

Zitternd folgte ich ihm. Aus den ersten Schritten wurden Minuten, dann Stunden. Schließlich schien er einen geeigneten Platz erreicht zu haben. Wie stets wies er mich an bei diesem und jenem zu helfen, während er Zelt und Feuerstelle aufbaute. Als er daran ging das Kaninchen, das Senki jeden Tag für uns zu jagen pflegte, zu braten, setzte ich mich möglichst nah ans Feuer und versuchte krampfhaft wärmer zu werden. Ich musste dabei konzentriert aussehen, da er leise, aber in ernstem Ton, mit mir sprach. „Bao und Tsu werden schon wiederkommen.“ Etwas überrascht hob ich die Brauen. „Das... war es nicht... mit ist kalt.“, nuschelte ich leise. Er schnaufte kurz amüsiert, kam näher und ließ mich unter seinen Umhang kriechen. Er war von innen weich gefüttert. Jede Nacht verbrachte ich hier, damit ich wenigstens ein wenig warm wurde. Und insgeheim war ich neidisch auf diesen Umhang. Er war weich, warm und roch nach ihm. Sachte strich er mir durchs Haar. „Nicht mehr lange. Bald gibt es Essen.“ Ich nickte. Trotz der Ruhe, die mich nun eigentlich ergreifen sollte, hallten seine Worte in mir nach. Bao und Tsu.

 

Beim ersten Üben des bevorstehenden Einsatzes, waren die beiden rücksichtslos vorgegangen. Wir waren ein Team, sollten es zumindest sein. Doch keine von beiden hatte sich bereit gezeigt, eine Absprache überhaupt zu halten. So konnte auch keine eingehalten werden. Und demnach waren es auch nur diese beiden, die reagiert hatten. Sie hatten zwar den Kampf „gewonnen“. Doch das hier war nur eine Übung. In einem Kampf gegen mehrere der Todesritter würden sie mit einer solchen Haltung nicht lebend herauskommen. Genauso wenig wie Ithedilyen und ich, wo wir den beiden doch eigentlich nur helfen wollten. Nun aber schien es mir, als wollten sie diese überhaupt nicht. Nicht nur, dass sie sich derart rücksichtslos verhalten hatten, sie waren danach auch noch spurlos verschwunden.

 

Leise seufzte ich aus, lehnte mich an ihn und streckte die Beine ein wenig aus. „Wir sollten nach Darnassus zurück.“ Das Streichen seiner Hand stockte kurz, bevor er sprach. „Warum?“ Wieder seufzte ich. Diese Entwicklung war für mich vollkommen unbefriedigend. Vor allem jetzt, da ich eigentlich dachte, ich hätte Bao klargemacht, dass es sich hierbei um einen Freundschaftsdienst handelte. „Sie brauchen uns nicht. Mir ist kalt und ich vermisse Lina. Langsam weiß ich nicht mehr, warum ich hier bin.“ Eine Zeit des Schweigens folgte, dann nickte er. „Morgen gehen wir zurück.“ Das liebte ich an ihm. Er bemerkte, was ich brauchte und unterstützte mich einfach dabei. Und dennoch: Einerseits hüpfte mein Herz vor Freude, aufgrund der Aussicht mein Mädchen wiederzusehen. Andererseits schmerzte es mich, da es hieß eine Freundschaft wieder abzubauen und in eine simple Arbeitsbeziehung zurück zu wandeln. Ich hoffte, Bao würde mich verstehen. Irgendwie.

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