Ainyael Schattenkralle

1

„Ainyael!“ Lachend hatte Kath’ranis meinen Namen gerufen, ehe ich unverhofft seine Arme verspürte, die sich unter meinen hindurch um meinen Körper schlangen. Ein gutes Gefühl. Und eines, das mich lachen machte. Ich legte den Kopf in den Nacken, verspürte seine Wange an meinem Hals. „Was ist?“ – „Priesterin Sternenschimmer hat Apfeltörtchen gebacken und verteilt sie! Komm, Leckermaul, das lass dir nicht entgehen!“ Wieder hörte ich sein Lachen, Ausdruck zufriedener Zeit und absoluten Frohsinns. Noch bevor ich mich bewegen konnte, hatte seine Hand die meine gegriffen, zog sie an mir und mich fort. Ich stolperte, lachte auf und folgte ihm.



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Ich spürte, wie Tropfen meine Kehle herunter rannen. Ein Wohlgefühl, jedoch nur von kurzer Dauer. Mein Rachen war trocken, seit Tagen hatte ich nichts getrunken. Diese paar Tropfen wässerten zwar meine Kehle, hinterließen aber ein raues Brennen. Ein Brennen, dass mich endgültig aus diesem wundervollen Traum und gleichzeitig Erinnerung riss. Zischend hob ich meinen Kopf an. Der Atem meines Gegenübers strich über meine Haut, das Lächeln auf seinem Gesicht konnte ich förmlich spüren. Gefährlich strichen seine Finger über meine Kehle. „Hallo mein Schatz. Gut geschlafen?“ Damit bestätigte sich das vermutete Lächeln. Er war nie gut darin gewesen sich zu verstellen und auch diesmal hörte ich es heraus. Früher waren wir uns nahe gestanden. Aber vieles hatte sich geändert. Sein Schatz war ich schon lang nicht mehr, ein Zischen entrang sich meiner Brust. Ich spürte seine Finger meine Kehle hinauf zu meinem Kinn fahren. „Sei nicht so. Wenn Dalandor vorbeikommt und dich holt ist alles vorbei.“ Wieder dieses Lächeln in der Stimme. Er ließ von mir ab und erhob sich, ging ein paar Schritt. „Gebt ihm zu Essen und zu Trinken. Und lasst ihn ja nicht einschlafen.“ Bösartig war seine Stimme über die Jahre hinweg geworden. Und bösartig hatte er auch diese Worte zu einem seiner Untergebenen gesprochen, bevor er aus dem kalten, nassen Raum herausgetreten war.

Der beauftragte Mann kam zu mir, leise klatschten seine nackten Füße auf dem kalten Stein. Mit einem Ruck wurde mein Kopf in den Nacken gerissen, Schmerz durchflutete meinen Körper und ließ mich für einige wenige Sekunden schwinden. Wieder rannen Tropfen einer Flüssigkeit in meinen Rachen, wurde bald zu einem Sturzbach, den ich nicht lenken konnte. Nur wenige Schlucke konnte ich aufnehmen, bis ich mich verschluckte und hustete. Doch es wurde nicht abgelassen, weiter musste ich trinken, bis mir schließlich die Luft weg blieb. Erst jetzt ließ mich der Mann los, ich fiel vornüber, nur gehalten durch die Stricke im Rücken, und schüttelte mich in Hustenkrämpfen. Als ich ansatzweise wieder Luft bekam, wurde ich erneut hochgerissen, bekam wiederum viel zu viel eingeflösst, der Kreislauf ging von vorn los. Nach dem dritten Hustenkrampf schließlich stopfte man mir einen Brotkanten in den Mund. Ich hörte die klatschenden Schritte sich von mir entfernen, dann fiel eine Tür quietschend in ein Schloss.

Die Flüssigkeit, die man mir verabreichte, hatte durchaus Ähnlichkeit mit Wasser. Dennoch war ihr Nachgeschmack bitter bis scharf. Definitiv eine Droge. Mit diesem Wissen begann ich auf dem Kanten herumzukauen. Es würde mich nicht wundern, wenn auch dieser damit versetzt worden war. Betrachtete man sich die Wirkungen der Droge, konnte es auch nicht viel Auswahl an Mittelchen geben. Hier war ein guter Alchemist am Werk gewesen, der Pestblüte mit Erdwurzel gemischt hatte. Bald würde ich mich wieder schwächer fühlen, die Welt als plüschigen Watteball wahrnehmen und für einige Zeit nicht mehr schlafen können. Wunderprächtig. Meine Nase begann zu kribbeln und ich musste unweigerlich Luft holen, als ich nieste. Dummerweise fiel mir der Kanten aus dem Mund und mein Mahl für die nächsten Tage lag im schlammig – steinigen Morast der kleinen Gruft.

Ich lehnte mich an die nasskalte Steinwand hinter mir, an der ich festgebunden war. Ein Seil war irgendwie mit Ketten verflochten worden, welche meine Handgelenke auf dem Rücken fixierten. Richtig sitzen konnte ich nicht, stehen auch nicht, von liegen ganz zu schweigen. In der Hocke war der Zug an meinen Armen halbwegs erträglich, demnach musste auf halber Mannshöhe irgendwo das Seil an die Wand gebunden worden sein. War ich halbwegs bei Sinnen, so wie jetzt, war die Hocke wirklich das erträglichere, vor allem für die geschundenen Arme. Bald aber würde ich mich nicht mehr halten können, wieder vornüber auf die Knie kippen und nur von meinen Schultergelenken gehalten in der Luft hängen. Ich hatte sämtliches Gespür für Zeit verloren, aber meinen Schmerzen nach zu urteilen waren die Abstände zwischen den einzelnen unbeeinflussten Phasen sehr groß. Umso mehr hieß es jetzt noch die Schultern zu entspannen. Und diesen verfluchten Brotkanten zu suchen!

Vorsichtig streckte ich einen Fuß nach vorn und begann auf dem feuchten Untergrund zu tasten. Das Gewicht musste ich auf den andern Fuß verlagern, krampfartig spannten sich die Muskeln an. Ich hatte mit dem Gleichgewicht zu kämpfen, als ich nach links und rechts tastete. Fantastischerweise ohne Erfolg. Umso länger ich tastete, umso mehr merkte ich, wie meine Wahrnehmung abnahm. Die Steine wurden weich, die Welt begann sich zu drehen und so wurde ich gezwungen, mich ohne Brotkanten wieder auf beide Beine zu hocken. Ich seufzte, senkte den Kopf und begann abzuwarten. Es dauerte nicht lange, bis ich nach vorn fiel und in der Luft hing, unfähig mich zu rühren und gezwungen jene Momente der Schwäche hellwach und ohne Fähigkeit zur Gegenwehr zu erleben.

Nach Stunden der Ruhe fängt das Ohr an nichts mehr wahrzunehmen. Nach Stunden des Hängens und er Schmerzen, verpuffen auch diese. Irgendwann kommt man in einen Zustand völliger Ergebenheit, lässt jeden Gedanken an Flucht oder Gegenwehr vorbeiziehen. In diesem kleinen Raum, dessen Wände, die ich nicht sah, mir immer bedrohlicher näher zu kommen schienen, war es nicht einmal möglich sich mit Pfeifen zu orientieren. Kath hatte den Raum meiner Qual gut ausgewählt. Sobald ich pfiff kam der Ton wieder zu mir zurück, überlagerte sich mit anderen und bildete nichts weiter als schwammiges Gefühl in mir ab. Der Raum musste klein sein. Aber wie klein genau, das konnte ich nicht einschätzen.

Ich seufzte und versuchte mich zu sammeln, die Gedanken auf positivere Dinge schweifen zu lassen. Doch anstatt mich auf die schönen Dinge meiner Vergangenheit zu konzentrieren, die ich eben noch in meiner Traumwelt gesehen hatte, bangten meine Gedanken um eine Frage: Warum sollte gerade Dalandor hierher kommen und mich herausholen? Klar, da draußen herrschte Kriegen gegen Ahn’Qiraj, doch warum konnte man nicht irgendeinen Elfen heranlocken, warum musste es Dalandor sein?

Gut, Dalandor war ein wirklich fähiger Druide. Er war immer diszipliniert gewesen, hatte sich nie irgendwelche großartigen Auseinandersetzungen mit Malfurion oder anderen Druiden geliefert und erledigte seine Aufgaben gewissenhaft und rasch. Er war geduldig und weise, hatte ein großes Herz und war stets bemüht auf alle Fragen eine Antwort zu finden. Und genau deswegen waren er und ich zueinander gekommen. Er war so ziemlich der einzige, der genug Geduld und Einfühlungsvermögen hatte, um sich mit mir und meinem Kampfstil zu arrangieren. Wir hatten viel gelacht zu der Zeit, in der wir uns in Übungen verloren, einer vom andern lernen durfte. Irgendwann waren wir von der Kampfkunst übergegangen zur Kräuterkunde und ich entdeckte, dass jedes anders roch, man sie sogar im Wald an ihrem Geruch erkennen und einsammeln konnte. Verarbeitet rochen sie alle anders, fühlten sich alle anders an. Viel Übung hatte mich dennoch dazu befähigt sie überwiegend auseinander zu halten. Und dann waren wir in der Ruhe der Mondlichtung dazu übergegangen mich in der Alchemie zu bilden. Viele verquere Tränke waren herausgekommen in den vielen Unterrichtsstunden. Letztlich aber, hatte ich auch das gemeistert. Letztlich hatte ich auch den Zugang zu seinem Herzen gefunden, ohne es zu wollen. Dennoch hatten wir nicht mehr voneinander lassen können. Ein Lächeln schlich sich in mein Gesicht, der Gedanke an ihn ließ mich kurzzeitig meine jetzige Situation vergessen, Wärme in mir aufsteigen.

Vielleicht war es das, was Kath jetzt wollte. Er war ständig eifersüchtig auf seine Nachfolger gewesen. Aber wie nur hatte der ehemalige Druide von diesem Nachfolger erfahren? Jahrzehnte nun war er nicht mehr im Zirkel und die Zeit mit Dalandor war noch nicht lang gewesen. Hatte er etwas einen Spion im Zirkel? Und wenn ja, wer war es? Doch noch ehe ich den Gedanken hätte weiterspinnen können, wurde die Tür aufgerissen. Ich versuchte zu erahnen, wer es war, wohin sich dieser Jemand bewegte, doch meine Sinne waren wie gelähmt. Der Kopf wurde mir wieder in den Nacken geworfen, wieder spürte ich diese Art Wasser in meinem Hals. Ich war nicht fähig die Luft anzuhalten, mit einem Brennen in den Lungen begann ich zu husten. Aber auch das gelang nicht richtig. Der Jemand ließ mich los, mein Kopf rutschte nach vorn und ich hustete, als würde ich gleich ersticken. Als ich halbwegs wieder zur Ruhe kam, versuchte ich zu hören, ob ich allein war. Ich wusste es nicht, ich konnte mich nicht konzentrieren, meine Gedanken nicht halten. Hilflos gab ich mich wieder der Zeit hin.



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Ein neuerliches Zischen entrann meiner Brust. Wieder schienen Stunden vergangen, bis ich erneut Besuch bekommen hatte. Wieder war es mir nicht möglich zu erkennen, wer es war, was vor sich ging. Irgendwie waren meine Hände losgekommen, eine Welle von Schmerz durchlief meine Schultern, die mich eigentlich hätte um den Verstand bringen müssen. Anstatt dessen nahm ich sie nur am Rande meines Bewusstseins wahr, wie ein Kribbeln im kleinen Zeh. Ich spürte, wie ich angehoben wurde, dann wankte es. Unfähig mich zu rühren oder zu wehren zischte ich erneut, was das Wanken aber nicht beendete. Erst, als es warm auf meiner Haut wurde, endete es. Nur damit man mich auf den Boden warf und ich mich im Sand Silithus’ wieder fand. Wieder wogte Schmerz am Rande meines Bewusstseins auf, diesmal von Kopf her. Ich hörte Stimmen, die nacheinander sprachen, sich gegenseitig ins Wort fielen. Ich hatte keine Ahnung, wer es war. Eine Weile lag ich so herum, zischte ab und an drohend auf, einer Schlange gleich und dennoch verachtenswert wehrlos. Mein Haar wurde gepackt, man schleifte mich irgendwo hin. Noch während ich versuchte festzustellen, ob es wirklich mein Haar war oder nicht mein Nacken oder ähnliches, vernahm ich dumpf den Aufschrei eines Mannes. Danach wurde es still.

Letztlich warf man mich in den Sand, irgendetwas wurde neben mich geworfen. Ich hörte das Grummeln zweier Personen, das sich aber schnell entfernte. Wo war ich nun? Was war geschehen? Ich versuchte mich zu rühren, doch mehr als jene Wellen des Schmerzes am Rande brachte ich nicht zustande. Stunden lag ich herum, reglos, die Wärme auf meiner Haut, die immer dringlicher wurde. Ich bekam Durst, von dem Hunger in mir ganz zu schweigen. Mit der Zeit vergingen die Wirkungen der Droge, doch anstatt mich wieder zu bewegen glitt ich in einen beruhigenden Schlaf über.



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Eine Weile lang war er meine Augen gewesen, hatte mich mit leisen Lockrufen und Pfeiftönen durch den Wald und sein Unterholz gelotst. Kath war zuverlässig, führte mich um jeden Stein. Fiel ich doch einmal oder bekam einen Zweig ins Gesicht, rannte er besorgt zurück und schaute angestrengt nach, ob auch wirklich alles in Ordnung war. Immer war ich am Lachen, selbst wenn ich mir wirklich wehgetan hatte. Wie hätte ich auch anders können? Ich genoss es mit ihm zusammen zu sein, ich vertraute ihm, folgte ihm wo immer es ihn hinzog. Wir verbrachten fast alle Zeit miteinander, kannten uns, lernten uns immer besser kennen. Was war da schon ein blutiger Striemen im Gesicht? Das Leben konnte so schön sein! Wir waren in Astranaar angekommen, der kleineren Stadt im Eschental. Priesterin Sternenschimmer teilte noch immer Apfeltörtchen an die Kindergruppe aus, zu der auch ich und Kath noch immer gehörten, wenn wir auch bald erwachsen waren und zumindest er schon die Anfänge seiner druidischen Ausbildung genoss. Der Lautstärke und den vielen Rufen nach zu urteilen, waren es viele Kinder, die sich die Leckerei nicht entgehen lassen wollten. Ich blieb am Rande stehen, lachte fröhlich und wurde von einigen Jungen derbe begrüßt. Es hagelte freundschaftliche Schläge auf den Rücken, man nahm meine Hand und schüttelte sie eifrig. Alles Jungen, die ich sehr gut kannte. Kath’ranis gesellte sich irgendwann wieder dazu, nahm meine Hand und drückte eines jener Apfeltörtchen hinein. Wir verabschiedeten uns, was lautes Johlen hervorrief. Wie so oft wollten wir nur zu zweit sein, wie so oft waren es spielerische Sticheleien, die man uns entgegen brachte. Innerlich meinte ich, sie würden uns um unser frühes und für uns selbstverständliches Glück beneiden. Dieses Mal war das Ufer des Sees, in dessen Mitte die kleine Stadt lag, unser Ziel.



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Die Sonne brannte in meinem Nacken, mit einem Stöhnen kam ich wieder zu mir. Die Schultern schmerzten, diesmal brach die Woge direkt in mein Bewusstsein ein und drohte mir den Verstand zu nehmen. Ich jappste unweigerlich nach Luft, versuchte mich im Sand aufzustemmen, nach Möglichkeit alle Schmerzen zu unterdrücken. Der Versuch schlug fehl, ich sackte zur Seite hin weg und landete auf etwas erstaunlich Weichem. Und erschreckend Bekanntem. Schon allein der Geruch, in den sich die Süße der Fäule gemischt hatte, hätte mir gleich zu Anfang auffallen müssen. Ein Wall von Panik stieg in mir auf. Das konnte nicht sein? Das durfte einfach nicht sein! Ich sammelte allen Willen zusammen und ließ mich an der Seite der Erhebung herunter rutschen, hob die Hände an und ließ meine Finger darüber gleiten. Noch mehr Angst sammelte sich in mir, als ich Leder spürte, begann eine Robe auszumachen, sowie hölzerne Schulterpolster. Ein Gurt war um den Brustkorb des Körpers gelegt worden. Ein Gurt, den ich sehr gut kannte. Ich erfühlte die blattartigen Stickereien auf dem Leder, während sich Tränen des Erkennens und der Erkenntnis über meine Wangen schoben. Dalandor. Das war Dalandors Gurt, mit dem er seinen Stab zu befestigen pflegte. Ich schluckte, dann begann ich zu zittern. Das konnte nicht sein. Nein! Ich nahm meinen restlichen Mut und Willen zusammen, setzte mich auf und führte meine Hände über den auf dem Rücken liegenden Körper. Über die erschreckend bekannte Brust, den erschreckend bekannten Hals hinauf, bis ich schließlich das Gesicht ertasten konnte. Ich stockte, dann geschah es wie von selbst. Ich strich über sein Gesicht, er hatte die Augen und den Mund geöffnet, das Haar war wild in sein Gesicht gefallen. Alles war sandig, die Wärme der Sonne hatte ihn bereits faulen lassen. Ich verscheuchte erste Fliegen von seinen Wangen, dann beugte ich mich vor und legte ihm einen letzten Kuss auf die Lippen. Die Verzweiflung ließ mich wimmernd zusammen sacken, schüttelte mich. War es immer dunkel im mich gewesen, hatte die Dunkelheit nun noch ein beträchtliches Stück zugenommen. Allein in einem Meer aus Sand lag ich wimmernd in der Sonne, weinte mir das Herz aus dem Leib. Mit nur einem intensiven Gedanken: Du wirst nicht jeden meiner Gefährten töten können, Kath’ranis Schattenklaue!

2

Ruhig lag die kleine Lichtung im Mondlicht. Im Durchmesser nur etwas mehr als 20 Meter maß das Lager mitten im Teufelswald, das diese Lichtung als Heimat gewählt hatte. Spitze Zelte, in denen Leute nächtigten, standen neben flacheren Zelten, die Proviant und Sitzgelegenheiten beherbergten. In einer etwas abseitigen Position stand ein etwas größeres Zelt, das im Gegensatz zu den anderen vielfältig verziert war. Bläulich leuchteten sie alle im Mondlicht, nur das größere glimmte leicht hell auf. Es war mit silberfarbenen Stickereien verziert worden, welche das Mondlicht reflektierten. Grün waren die Bäume um die kleine Ansammlung, wurden vom Fackelschein des Lagers in sanften roten Tönen angeglimmt. Der Wald war eigen, besaß viele, vor allem hohe, Bäume, aber nur wenig Gebüsch. Dennoch zogen sich wie von Geisterhand Schatten zwischen ihnen dahin, die sachte von den Strahlen des Mondes durch das Blattwerk unterbrochen wurden.

Das Lager selbst war ruhig. Ein paar müde Wachposten flankierten die Seiten, Reittiere verschiedenster Arten standen in einer Gruppe am Rand. Einige wenige Personen liefen zwischen den Zelten umher, schienen aufzuräumen. Aber der Großteil war in seinen Zelten und somit ruhig. Das Lager schien absolut nicht das zu erwarten, was gleich geschehen würde.

Geduckt hielt ich mich in den Schatten auf, pirschte immer näher an die Zeltansammlung heran. Ich realisierte die paar Wachen an ihrem sonderbaren Geruch. Zudem fühlte ich, dass sie mit Magie in Berührung gekommen waren. Ein Fakt, der mir mehr half als mich einzuschüchtern. Nur weil jemand nach Magie stank, hieß das nicht, dass er mit ihr umgehen konnte. Dennoch haftete dieser Makel an den Wesen. Ein Makel, der mich sie auf viele Meter Entfernung spüren ließ. Die Bogen, die ich einschlug, um jene Wachen herum waren groß, ich hätte schon mitten ins Mondlicht laufen müssen um entdeckt werden zu können. Aber das hatte Dalandor mich gelehrt: Mondlicht ist immer etwas kühler. War man aufmerksam spürte man es, wenn man nah genug heran kam, sogar durch Leder hindurch. Es war nur ein minimaler Temperaturunterschied, den man aber erfühlen konnte, wenn man wusste, wonach man suchte.

Ich war angespannt, noch ging mein Atem kontrolliert ruhig, ich konzentrierte mich streng auf die Gegend und meinen Weg. Sogar mein Herz schlug kontrolliert ruhig im Einklang mit dem Atem. Kein Ton kam über meine Lippen, kein Geräusch verriet mich. Mein Weg zog mich zu dem Punkt hin, an dem der spürbare magische Einfluss am größten war. Es war jenes große Zelt, um das ich schließlich herumschlich. Die anderen Bewohner dieses Lagers waren allesamt magisch befleckt worden, aber der Bewohner dieses Zeltes schien sie auch beherrschen zu können. Das Gefühl hier kam einem Ziehen im Nacken gleich, das sich die Haare aufrichten ließ und kleine, unangenehme Schauer des Ekels durch den Körper schob. Ich war mir sicher, dass der Mann, den ich suchte, in diesem Zelt seine Schlafstatt hatte.

Da keine Wache das Zelt bewachte, schlich ich darum herum, fand den Eingang und setzt mich wieder in den Schatten. Ich lauschte und horchte, beobachtete mein Innerstes, das mir oftmals schon nur mit den Instinkten die richtigen Anweisungen gegeben hatte. Doch diesmal brauchte ich es gar nicht wirklich. Im Zelt regte sich etwas, was mich weiter in den Schatten sinken ließ. Vor Erregung begann mein Herz schneller zu schlagen, denn das schläfrige Seufzen, das aus dem Zelt an meine Ohren drang, war mir sehr gut bekannt.

Viele Jahre hatten Kath und ich zusammen verbracht. Viele Jahre, in denen wir auch beieinander genächtigt hatten. Schon als Kinder waren wir unzertrennlich gewesen, doch letztlich waren es seine Taten gewesen, die mich von ihm abgebracht hatten. Mein damaliger Meister, der die Geduld aufgebracht hatte einen Blinden in der Kunst des Meuchelns auszubilden, hatte mich aus seinen Fängen gezogen. Kath’ranis war damals schon einige Jahre in seiner Ausbildung zum Druiden gewesen, ging aber immer zwielichtigeren Tätigkeiten nach. Er war rauer geworden, ungeduldiger, hatte begonnen mich zu benutzen und umher zu schicken, anstatt mir Augen zu sein, wie er es einst versprochen hatte. Mein Meister war damit unzufrieden gewesen, hatte schlechten Einfluss verspürt. Es gab viel Streit, ehe ich mich von Kath losreißen konnte. Und auch danach ging es mir erst einmal nicht gut. Ich hatte viel Zeit damit verbracht einfach nur um meinen Verlust zu trauern, mich nicht zu Lehrstunden aufraffen können. Doch mein Meister, so ungehobelt er auch war und so laut er werden konnte, hatte Verständnis gehabt, Geduld noch dazu. Er hatte sich um mich gekümmert, bis ich wieder so weit war. Danach war ich nur noch damit beschäftigt gewesen schneller stärker zu werden, immer mehr zu lernen, effektiver zu werden.

Kath’ranis selbst war ebenfalls nicht untätig gewesen. Er war schließlich dem Schattenhammer beigetreten, als man ihm dem Zirkel verwiesen hatte. Nethermagie war es gewesen, die er ausübte, die er nun dem Schattenhammer zukommen ließ. Und dort wurde sie auch freudig angenommen und gefördert. Immer wieder hatte mich mein Weg zu ihm geführt, ob gewollt oder nicht. Der Ausgang solcher Treffen war bisher nie positiv für mich verlaufen. Das letzte Mal hatte er es geschafft mich zu überwältigen. Aber er war auch nicht allein gewesen, sondern hatte mir einen Hinterhalt gestellt. Aber selbst meine Gefangenschaft war nur Falle gewesen für jemand anderen: Dalandor. Dieser Mann war mein Gefährte gewesen. Kath’ranis hatte uns zusammen in die Wüste Silithus geworfen, nachdem er Dalandor getötet hatte. Mit Sicherheit war es auch seine Absicht gewesen mich dort zu töten, aber ich bin zäh, schon immer gewesen. So hatte ich mich auch aus dieser Lage befreien können, wenn ich auch mein Herz erneut zurücklassen musste. Dalandor war nicht der erste meiner Gefährten, die Kath auf dem Gewissen hatte. Dalandors Vorgänger war von ihm persönlich ertränkt worden. Mit diesen Taten sollte jetzt ein für alle Mal Schluss sein.

Nach dem Seufzen im Zelt hörte ich das Geraschel von Decken, dann war es wieder still. Ich verharrte noch eine Weile, bis ich mir wirklich sicher war, dann schlich ich wieder zum Zelt. An dessen Rand verharrte ich wieder und lauschte. Nichts und niemand hatte sich gerührt. Meine Hände glitten zu meinen Dolchen und zogen sie aus ihren Scheiden. Ein leicht bitterer Geruch breitete sich um mich herum aus, der aber sogar für mich nur schwer auszumachen war. Ein normaler Elf würde es nicht wahrnehmen. Lautlos schlich ich zum Eingang, hockte mich nah an den Boden und glitt ins Zelt hinein.

Wärme empfing mich, sowie Kath’ranis süßlicher Geruch und seine magische Aura. Hier schien sich alles zu einer geballten Masse vermengt zu haben, ließ mir kurz den Atem stocken. Wieder verharrte ich und lauschte, strengte mein Gefühl an und wollte herausfinden, ob mich jemand mitbekommen hatte. Dem war nicht so. Mir schlug das Herz bis zum Hals, trommelte von innen gegen meine Brust. Der Atem ging schnell, Aufregung hatte sich binnen Sekunden in mir breit gemacht. Aufregung und Angst. In diesem Fall war die Angst etwas Gutes, sie machte mich vorsichtig. Und Vorsicht war ein Garant für den Erfolg meines kleinen Attentats.

Leise, kaum wahrnehmbar, stieß ich einen hellen Pfiff aus. Der Laut kam zu mir zurück und hatte sich verändert. Jede Veränderung ließ mich auf meine Umgebung schließen. Links von mir stand etwas aus Holz, vermutlich eine Kommode. Daneben etwas längliches, großes, was eine Kerze, Laterne oder ähnliches sein konnte. Stapel an vielschichtigem Material lagen herum, umzingelten etwas auf halber Höhe. Vermutlich Bücher um einen Tisch herum. Davor machte ich noch verschwommen einen Stuhl aus. Eine Person war offenkundig nicht anwesend, bzw. stand herum. Das war aber eigentlich alles nebensächlich, interessanter war die Gegebenheit direkt vor mir. Das Bett hatte sich laut von den anderen Tönen abgehoben, darüber war es schwammig. Also musste irgendetwas aus Stoff, eine Art Vorhang über dem Bett sein. Wenn es darüber war, dann vermutlich auch darum. Ich schlich näher, nahm den Dolch in die Faust und klemmte ihn mit Daumen und zwei Fingern fest. Die anderen streckte ich aus und ertastete wirklich Stoff. Um das Bett herum krabbelte ich geduckt, bis ich den Eingang dieses kleinen Ortes entdeckt hatte. Spannung stieg in mir auf.

Spannung, die schnell in Vorsicht umschlug. Das Bett bewegte sich, Stoff glitt über Stoff und Gliedmaßen wurden bewegt. Ich spürte einen Luftzug, dem eine Welle süßlich männlichen Geruchs und Wärme. Ich hielt die Luft an. Hatte man mich entdeckt? Ich verharrte, doch nichts geschah, bis ich mich schließlich traute und eine Hand ausstreckte. Ich führte sie vorsichtig um das warme Ding herum, so dass es zwischen mir und meiner Hand war. Dann pustete ich leicht. Ein träges Zucken durchfuhr das Ding, das sich als Arm herausstellte. Wehmut stieg in mir auf, kannte ich diesen Arm doch nur zu gut. So oft hatte er mich umgarnt, mich festgehalten, Lust und Liebe zwischen mir und Kath beflügelt. Aber dies alles hatte ein Ende. Und zwar jetzt gleich.

Um den Arm herum schlich ich mich, rappelte mich dann vorsichtig auf und kletterte im Zeitlupentempo auf das Bett, bedacht darauf den um einiges kräftigeren Mann unter mir nicht zu wecken. Früher hätte er sich ob so einer Position gefreut. Heute würde er sie verfluchen wollen. Ein bitteres Lächeln schlich sich in meine Züge, die Vorfreude auf die folgende Tat kroch in mir hoch, bis sie mich zu beherrschen schien. Ich pfiff erneut leise. Kath lag auf dem Rücken, den Nacken durchgestreckt, die Brust blank vor mir. Der eine Arm war zur Seite weggeglitten, der andere hatte sich in die Decke eingewunden und lag halb auf seinem eigenen Körper. Er würde den Tod nicht einmal spüren. Ich hob die Dolche an, Erregung kroch durch mich hindurch und wurde zu Ungeduld. Leise sausten sie durch die Luft auf ihn zu.



Ein Schrei zerschnitt die Stille der Nacht, ließ die Wachen des Lagers zusammenfahren. In Sekundenschnelle hatte ich meine Dolche aus seinem Körper gezogen, war vom Bett gesprungen und aus dem Zelt gehuscht, bis mich der Schatten umfing. Ich kroch mich in ihn hinein, begann zu warten und zu lauschen. Das Lager war sofort in heller Aufruhr, ein wütender Schrei nach dem anderen durchlief die Nacht. Einige Personen rannten auf das Zelt zu, aber Kath’ranis war bereits herausgestürmt, schrie darnassische Flüche in die Nacht.

Zufrieden lächelte ich. Auch wenn ich es nicht übers Herz gebracht hatte ihn wirklich zu töten, hatte er doch eine Lektion gelernt. Leise schlich ich mich durch das wenige Unterholz davon, machte Bogen um Flecken aus Mondlicht, ehe die Wachen losgeschickt wurden, den Eindringling zu suchen. Noch bevor der Morgen graute, hatte mich ein Hippogryph zur Mondlichtung und in Sicherheit gebracht.

Meine Klingen waren mit wundbrandförderndem Gift belegt gewesen. Getroffen hatte ich eines seiner Augen, das nun entweder gänzlich entfallen oder, wenn er Glück hatte, erblinden würde. Die andere Klinge war zwischen seine Rippen geglitten, kurz neben sein Herz. Allerdings nicht tief, so dass der Stich an sich nicht lebensgefährlich war. Er würde einige Zeit Wundfieber haben, lange Zeit entkräftet sein. Würden sie keinen Heiler auftreiben können, gäbe es die Chance, dass er erliegen würde. Aber das konnte ich mir nicht vorstellen, das Lager wirkte geplant und gut organisiert.

Die Verhältnisse unserer Kindheit hatten sich geändert. Ich war nicht mehr darauf angewiesen, dass jemand wir Kath’ranis mit den Weg wies. Ich konnte ihn jetzt selber gehen, aufrecht und zielsicher. Auch wenn ich das später gelernt hatte als er. Er war immer der Stärkere von uns beiden gewesen, hatte mich gegen allerlei Widrigkeiten verteidigt. Dabei war er nicht nur körperlich vorgegangen, auch mit Witz, Geschick und Mut hatte er sich um mein Wohlergehen bemüht. Attribute, die er offensichtlich gepflegt hatte, auch ohne mich. Er war mir immer überlegen gewesen. Auch in den vielen Treffen, die wir seit unserer Trennung gehabt hatten, war es so gewesen. Meine Kampfkunst reichte nicht an seine Magie heran, oftmals hing ich wehrlos in einem gut gestrickten Netz aus Zaubern, versuchte verzweifelt mich zu verteidigen. Leichte Beute war ich für ihn. Doch was er nicht sah war, dass auch ein Mann wie er irgendwann unachtsam war. Und dass er sich nicht ständig würde weiterentwickeln können. Die letzten beiden Treffen waren nur knapp voneinander entfernt, hatten mich aber einiges gelehrt. Die Zwischenzeit hatte ich damit zugebracht mein Orientierungsvermögen auszubauen, während er sich aufgrund seines hohen Standes im Kult wohl nicht hatte weiterbilden können. Ich hatte die Chance gesehen ihn mir zu greifen. Und zugeschlagen. Kath’ranis Schattenklaue hatte einen Gegenspieler bekommen, den er nicht mehr wirklich einschätzen konnte.


3

Hellrot plätscherte das Wasser auf dem Boden auf, wusch das Blut aus den Wunden und mit ihm hoffentlich das Gift. Ich ächzte auf, Schmerz zog sich durch meine Unterarme. Mich hätte es nicht gewundert, hätte das Fleisch in Fetzen von ihnen gehangen, so sehr durchzog mich der Schmerz. In sarkastischer Grausamkeit strichen Finger liebevoll über meinen Nacken. „Na komm, Liebster, das bisschen wird dich doch nicht aufhalten?“ Ich kniete direkt vor ihm, während er in einer Hand den Krug hielt und meine Wunden säuberte. Wunden, die er mir selbst geschlagen hatte. Ich zischte wütend. Wenn es nach mir gegangen wäre, hätte ich ihm meine Dolche direkt in den Hals gerammt. Aber es ging hier nicht nach mir.

Wie war ich also in diese Situation gekommen, der ich mich so sehr zu entwinden versuchte? Als ich Kath’ranis das letzte Mal den Rücken gekehrt hatte, hätte es für mich gesehen das letzte Mal sein sollen. Ich war fröhlich gewesen, hatte das Leben wieder zu lieben begonnen. Und mit ihr trat auch wieder ein neuer Mann in mein Leben. Filan war sein Name und bis heute muss ich über ihn Schmunzeln. War ich schon sehr aktiv und fröhlich, übertrumpfte er mich noch bei Weitem. Manches Mal war er sogar mir zu anstrengend. Er sah in allem etwas Gutes, amüsierte sich über nahezu alles und jeden und schien die Freundlichkeit in Person zu sein. Jung war er gewesen, gerade erst den Kindesbeinen entwachsen. Seine Nähe und Zärtlichkeit war von einer Unschuld gewesen, die ich sonst noch nicht erlebt hatte. Nach recht langer Zeit in der Mondlichtung, die wir fast ungestört verbracht hatten, hatten wir uns entschlossen eine Reise anzustreben.

Als wir aufbrachen waren wir gut gelaunt gewesen ob der Abenteuer, die wir würden zusammen erleben. Dem war aber leider nicht so. Kurz nach unserem Aufbruch, gerieten wir in einen Hinterhalt. Filan war zu jung gewesen um ihn zu erkennen und ich wusste bald, warum ich ihn nicht bemerkt hatte. Kath hatte ihn uns gestellt und Filan von mir getrennt. In ein Lager hatte er mich gebracht und angefangen mich zu umgarnen. Was ich natürlich nicht erwiderte und ihn wütend machte. Seine Wut ließ er auch direkt aus, mit scharfen Schneiden teilte er das Fleisch meiner Arme, als wäre es Papier. Wo Filan war, wusste ich noch immer nicht.

Ich spürte, wie seine Finger in meinem Nacken sich verkrampften, sich in meine Haare krallten und meinen Kopf nach hinten zogen. Sein Geruch intensivierte sich, bis ich Kaths Lippen auf meinen spürte. Wut kroch meinen Leib hinauf, ließ mich zischen. Ich spürte sein Lächeln und dann seinen Atem auf meiner Haut, als er wieder sprach. „Du wirst mir folgen, mein Schatz. Früher oder später wird es so sein. Dafür werde ich sorgen.“ Einschmeichelnd sprach er, dennoch wollte und konnte es bei mir keine Wirkung zeigen. Zu viel war geschehen. „Wo ist Filan?“ – „Spielt das eine so große Rolle, Liebster?“ – „Ja, tut es. WO ist er?“ Doch die Antwort blieb er mir schuldig.

Wieder spürte ich seine Finger in meinem Nacken, ehe er mich auf die Beine zog. Kath ging um mich herum, schlang von hinten einen Arm um mich und griff mit der Hand nach meinem Arm, fixierte ihn so. Wie schon so viele Momente zuvor verspürte ich die Klinge in meinem Fleisch, wie sie es zerschnitt und schließlich die Wärme meines eigenen Blutes über die Hand rann. Der Boden fing an sich zu drehen, ich war gezwungen mich gegen ihn zu lehnen um nicht umzufallen. Viel zu lang hatte er mich malträtiert, als dass ich jetzt noch Kraft zum Wehren hatte. Ich war viel zu sehr damit beschäftigt den letzten Rest Stolz zu wahren.

Ich hörte das Getrappel von Stiefeln sich von der Seite nahen. Tiefe Männerstimmen sprachen respektvoll. „Der Elf ist, wie befohlen, tot.“ Die Belustigung Kath’ranis’ in meinem Rücken war spürbar, während mir der Atem weg blieb. Sprachen sie von Filan? Oh, bitte nicht. Der Griff um meinen Körper wurde fester. „Wunderbar. Wird man ihn finden?“ – „Nein. Er ist tief gefallen.“ Ich jappste nach Luft. Das konnte nicht wahr sein. Hatte er Filan wirklich töten lassen? Hatte Kath schon wieder einen meiner Gefährten getötet? Warum? Die Beine brachen unter der aufkommenden Verzweiflung unter mir weg. Kaths Lachen ließ seine Brust sich heben und senken, dann nahm er mich auf die Arme und trug mich hinfort.

Er wusste, dass mich Tragen mich immer orientierungslos machte und schien genau das jetzt wieder auszunutzen. Ich klammerte mich an ihn, panisches Zittern hatte mich ergriffen, Angst durchflutete mich. Irgendwo am Rande meines Bewusstseins wurde ich eines Raumes gewahr, in den er mich trug, ehe er mich hinlegte. Verzweifelt klammerte ich mich in den Stoff unter mir, wie durch Watte nahm ich sein tiefes Lachen war. Als ich spürte, wie mir Kleidungsstück um Kleidungsstück vom Körper gezogen wurde, schloss ich die Augen und verbarg meinen Geist in mir. Egal was geschehen sollte, egal was er meinem Körper antun sollte, meinen Geist würde Kath’ranis nicht bekommen.



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Das Erste, was ich spürte, als ich wieder zu mir kam, waren die Verbände an meinen Armen. Immerhin darum hatte man sich gekümmert. Das Zweite war die Decke, die über mich geschlagen war. Wohlig warm war mir darunter. Wäre nicht diese ekelerregende magische Aura neben mir gewesen und der wohlbekannte Geruch, hätte ich mich wohl fühlen können. Wieder zischte ich, Worte wollte ich in Kaths Gegenwart ohnehin nicht groß verlieren. Doch auf mein Zischen erfolgte keine Reaktion. Ich holte Luft und durchmaß meine Situation.

Ich lag also halbnackt mit Kath in einem Bett, in irgendeiner Gegend, in irgendeinem Lager, mir irgendeiner Anzahl an Kultisten. Es waren zu viele unsichere Faktoren um an Flucht zu denken. Und dennoch: Mich zog es aus diesem Bett hinaus. Doch vorher… wie ging es Kath nach meinem Attentat?

Ich streckte die Finger in die Richtung der Magie aus und spürte schon bald die Wärme seiner Haut. Nach ein wenig Umherstreichen entdeckte ich, dass es sein Arm war, den ich berührte. Er zeigte noch immer keinerlei Regung, also ging ich weiter auf Entdeckungsreise. Seine Brust hatte ich schnell lokalisiert und neugierig ließ ich meine Finger zu jener Stelle gleiten, an der ich meinen Dolch versenkt hatte. Eine relativ kleine Verletzung war geblieben, aber sie war stark vernarbt. Eine Wölbung hatte sich nach oben gezogen, das Fleisch dort war weicher und empfindlicher als der Rest. Es war eine Schwachstelle, aber zu klein um sie für zukünftige Aktivitäten wirklich in Betracht zu ziehen. Unzufrieden schickte ich meine Finger seinen Körper hinauf, ließ sie sein Gesicht erklimmen und strich vorsichtig über Stirn. Den Rückweg zu seinem Auge trat ich doppelt vorsichtig an, der Lidreflex der Wimpern vermochte Leute zu wecken.

Sorgsam also strich ich über sein Lid. Und spürte… nichts. Rein gar nichts. Keinerlei Anzeichen ließ auf meine Verletzung schließen. Urplötzlich bewegte Kath sich unter mir, legte die Hände an meine Hüfte und lächelte. „Nein, sehen wirst du nichts. Aber lass dir gesagt sein, ohne Folgen blieb es nicht. Hell und dunkel, mehr geht dort nicht mehr.“ Und selbst damit war er meiner Meinung nach zu gut weggekommen. Er fuhr fort, nachdem er meine ausdruckslose Mimik eine Weile studiert hatte. „Du musst mich wirklich abgrundtief hassen. Dein Meister hat gute Arbeit geleistet.“ – „Das warst du schon selbst, keine Sorge.“ Und damit wollte ich mich von ihm erheben. Überraschenderweise ließ er mich gehen. „Wie ist es, willst du dich nicht für deinen neuesten Verlust rächen? Oder siehst du es langsam ein, dass du nur mir gehörst?“ Seine Stimme klang nicht gewohnt verächtlich, sondern erstaunlich gefasst und gar verständnisvoll. Dennoch konnte sie nicht Abwenden, dass mich Erinnerung über Erinnerung überlief, Schauer von Angst, Panik und Verzweiflung mich in die Knie schickten und mich vor ihm erlegen ließen.

Ich hörte das leise Rascheln von Stoff, dann spürte ich seine Hand an meinem Rücken. Kath kniete sich neben mir hin und nahm mich tröstend in seine Arme. „Du hättest mir einfach folgen sollen. Wir hätten eine wundervolle Zeit gehabt, du und ich. Ein Paar für die Ewigkeit, ein Paar mit Macht.“ Leise flüsterte er mir jene Worte ins Ohr. Ich schüttelte den Kopf. „Zu viel ist vergangen, zu viel passiert. Du kennst mich nicht mehr.“ Er strich durch mein Haar, kraulte es wie man einem Haustier Zärtlichkeit zukommen ließ. „Mag sein. Aber wir können aufleben lassen, was einst war. Wir können wieder so werden wie früher. Und es kann nur besser werden, Liebster.“ Ich ließ mich in seinen Armen hängen. Konnte man das einfach so sagen? Konnte man einfach so etwas wiederherstellen, was einst war? Wir hatten uns anders entwickelt, waren nicht mehr eine Einheit sondern Individuen. Nein, man konnte es nicht wiederherstellen.

Jappsend holte ich Luft, ehe ich mich wieder erhob. „Lass mich gehen. Ich will darüber nachdenken.“ Ich log. Für mich gibt es bis heute die Option nicht, jemals in seine Arme wiederzukehren. Überraschenderweise erhob auch er sich, nahm meine Hand. „Ich lasse dich gehen. Aber nur unter der Bedingung, dass ich dich wiedersehe. Und du dann mein bist.“ Den bösartigen Unterton ignorierte ich. Wollte ich einen solchen Tausch eingehen? Freiheit für eine gewisse Zeit und Abhängigkeit für die Ewigkeit? Hatte ich denn überhaupt eine Wahl?

Ich hätte mich umdrehen und ihn versuchen können zu töten, um dann irgendwie aus diesem Lager zu kommen. Allerdings würde Kath’ranis nicht lautlos sterben wollen, was Wachen auf den Plan rief. Um hier halbwegs unbeschadet wieder auf freien Fuß zu kommen, musste ich eingehen. Die Zeit verstrich beklemmend langsam während ich dachte, doch schließlich willigte ich ein.

Kath schien nicht unzufrieden zu sein. Und wahrlich, er ließ mich gehen. Er gab mir eine neue Rüstung, Waffen und Proviant, genauso wie einen Reitsäbler. Ein Pergament sollte mich schützen, sollte ich mit meinem cenarischen Wappen von Mitgliedern des Schattenhammers überrumpelt werden.

Und so war mein Weg in die Heimat wirklich ruhig. Das Lager hatte in Feralas gelegen, mein Weg war relativ lang. Bevor ich aber endgültig aufgebrochen war, hatte ich Filans Körper gesucht, ohne Erfolg. In der Mondfederfeste ließ ich seinen Anhänger, das Einzige was mir von ihm geblieben war, der Schwesternschaft zukommen, zusammen mit einer Todesmeldung. Er hatte noch Eltern gehabt, genauso wie Bruder und Schwester. Alle hatte ich nie kennenlernen dürfen.

Seitdem Kath’ranis mich hatte gehen lassen sind viele Jahre vergangen. Jahre, in denen ich mich nicht mehr gewagt hatte mich anderen zu nähern. Aber eben auch Jahre, in denen ich mich als Späher des Zirkels bewähren konnte und einen guten Ruf sowie Rang aufbauen konnte. Meine Techniken hatten sich fortentwickelt, bis auf kleinere Zwischenfälle konnte ich Kämpfe mit mehreren Gegnern ohne Probleme bewältigen. War ich aber in zivilisierten Gegenden, ließ ich das oft gern fallen und zeigte der Welt mein strahlendes Gesicht. Ohne an die Pflicht zu denken, ohne an Kath denken zu müssen und an die Qual, die er mir zukommen ließ, war die Welt wirklich schön. Und das musste auch zelebriert werden!



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Eines Tages führte mich die Bestellung der Holzwürfel, mit denen ich zu Lesen üben pflegte, nach Darnassus. Ich hatte gerade begonnen die Stadt zu entdecken, war auf meiner ersten Runde und versuchte mir die Wege einzuprägen. Es gibt in der Stadt viele Brücken mit Steinen. Steine waren schon immer meine Erzfeinde gewesen. Und auch an jenem Tage war ich über einen gestolpert als ich eine Brücke verließ und ins Gras wollte. Ich fand mich auf dem Boden wieder und hörte Schritte, dann ein dunkles belustigtes Lachen. Seufzend stiegen sämtliche alten Vorurteile in mir auf, ich erhob mich und begann jene Person zur Rede zu stellen.