04.06.2012

 

Unerwartet ruhig war es, als ich langsam wach wurde. Sofort schossen mir die Gedanken an das gestern Geschehene wieder in Erinnerung. Thanris’ verfluchte Klinge. Da war ich Sira losgeworden und nun durfte ich ihn mit so etwas teilen. War es so schwer zu verstehen, dass auch ich einmal egoistisch war und ihn nur für mich haben wollte? Ungeteilt?

Ich drehte mich herum. Natürlich war er schon wieder fort, das lange Herumliegen mit mir war nie seine Sache gewesen. Umso schlimmer der Gedankengang, der nun in mir aufkeimte. Er legte diese Klinge nie ab. Stets und immer war sie bei ihm, verfolgte ihn, hing in seiner Gedankenwelt. Dort, wo ich nie würde hinkommen können und doch so sehr hin wollte. Wieder einmal hatte er etwas anderem als mir den Vorzug gegeben. Das ernüchterte mich.

Als ich mich aufsetzte rieb ich zuerst mir die Augen, strich dann über Fays massigen Kopf, der sich bei meiner Regung auf meinen Schoß geschoben hatte. Ich liebte ihr weiches Fell, besonders an ihren Wangen. Ich vergrub kraulend die Finger darin, tätschelte ihr feuchtes Näschen mit der anderen Hand. Leise schnaufte das Tier vergnügt, strich ihrerseits mit der Zunge über meine Finger, so gut es eben ging. Ob Thanris jemals diese Distanz zu mir überwinden würde, die irgendwie immer noch geblieben war? Wir waren jetzt schon einige Zeit beieinander, kannten viel voneinander. Und doch, irgendwie war er immer noch in sich gekehrt. Nachdem ich nun wusste, dass er in seinem Geist nicht allein war, war mir auch klar warum. Würde er jemals seine Gedanken mit mir teilen? Konnte er das überhaupt?

Seufzend schob ich mich vom Bett. Etwas anderes hatte erstmal Vorrang. Denn egal, ob er je näher an mich heranrutschen oder noch weiter fortgehen sollte, er hatte recht gehabt. Ich sollte mich von Larila lösen. Noch immer war mir nicht klar, was sie von mir wollte. Aber mir war klargeworden, dass ich ihren jetzigen Umgang mit mir nicht mochte. Es konnte einfach keine dauerhafte Lösung sein, dass ich vor ihrer Aufdringlichkeit und somit auch ihr einen Bogen machte. Also entweder unterließ sie es oder aber man ging getrennte Wege. Und genau das wollte ich ihr heute erklären.

Während ich mich anzog grübelte ich weiter. Eigentlich wollte ich Thanris mitnehmen. Aber ich glaube, wenn man derlei Gedanken und Stimmungen in sich trägt, ist es besser, wenn ich ihn von noch mehr negativem Gefühl fernhalte. Also würde ich diese Sache, und fortan jede andere ähnliche, allein tun. Er trug schon so viel. Jetzt verstand ich auch, warum er damit überfordert war mich auszuhalten. Ich würde mich grundlegend ändern und ruhiger werden müssen, dringend. Schon allein um ihm die nötige Ruhe geben zu können, die er wohl dringend brauchte.

Bevor ich zu Larila aufbrach suchte ich nach meinen Würfeln. Ich fand sie in meinem Rucksack unter dem Bett, setzte mich dann auf die Decke und begann zu suchen. Mittlerweile waren es viele hundert Würfel geworden, die ich dringend mal sortieren müsste. Die Finger glitten um einen Würfel nach dem anderen, bis ich meine vier Stück zusammen hatte. Ich hatte eine gefühlte Stunde dafür gebraucht. Wie rum ich sie legen musste, damit sie richtig waren, wusste ich immer noch nicht. Aber sich Runen zurecht zu drehen sollte Thanris imstande sein. Ich verstaute den Rucksack wieder, schob die Hände in die Taschen und machte mich auf den Weg, gefolgt von meinem großen, kleinen Säblermädchen, dessen Nase sich immer wieder unter meinen Arm zu schieben suchte. Auf dem Bett trohnten die vier Würfel. „Bin bei Larila.“

Der Eingang zum Zellentrakt der Enklave war schnell gefunden. Früher war Fay mit mir hinuntergekommen, nun wartete sie artig davor. Der Weg war mir nur allzu bekannt, so dass ich ihn trotz seiner vielen Windungen ohne große Probleme zu gehen imstande war. Ich hörte ab und an die leisen Grüße der Wächterinnen, erwiderte sie ebenso leise. In einer der Zellen befand sich tatsächlich eine Gefangene, die grimmig mit einer der Wächterinnen sprach. Doch mein Ziel lag jenseits von alledem.

 

Als ich am letzten, größeren Durchgang ankam, erwiderte ich erneut einen Gruß. Man ließ mich ein, ich folgte dem eng geschlungenen Pfad noch tiefer ins Erdreich hinein. Bald schon drang das Klirren von Klingen an mein Ohr. Als ich in dem breiten Raum eintrat wandte ich mich gleich nach links, tastete mich an der Wand, bis ich Vorhänge erreichte. Ich blieb stehen und räusperte mich.

Eine dunkle Stimme drang an mein Ohr. „Sie kommt gleich. Larila trainiert noch. Wo warst du, sie zerfrisst sich um Sorge nach dir.“ Ich schenkte dem Mann ein kurzes Lächeln. Ich kannte keinen einzigen Namen der Anwesenden hier, bis auf Larilas. Aber genauso wie ich keinen Namen kannte, kannte auch keiner meinen Namen. „Ich war beschäftigt, hatte ein paar Dinge zu erledigen. Sie wird sich nicht mehr sorgen müssen.“ Ein freundschaftlicher Klapser auf den Rücken folgte. „Das hoffe ich. Ihr zwei seid doch unsere besten Kämpfer. Wär doch schade, wenn daraus nichts würde, hm?“ Der Elf lachte rau, ich aber hatte nur ein mattes Lächeln über. Wie gut, dass ich viele der hier Anwesenden niemals privat treffen würde.

„Es ist gut, lass uns allein.“ Larilas ruhige, angenehm melodiöse Stimme war zu vernehmen, genauso wie das Klirren der Plattenrüstung um ihren Körper. Ich nickte in die ungefähre Richtung der Elfe, schwieg aber. „Ja, schon gut. Soll ich Wache halten?“ Ich nahm nicht wahr, ob Larila nickte oder den Kopf schüttelte. Der Geruch nach ihrem Schweiß drang zu mir, ließ einen Hauch Übelkeit in mir aufsteigen. Ich wollte hier weg.

Als nächstes nahm ich Larilas Plattenhandschuh in meinem Rücken wahr, der mich mit seichtem Druck anzuschieben versuchte. Ich folgte ihr in ihren Raum hinein und wartete, bis ich das Zuschieben der Vorhänge vernahm. Ich schwieg auch dann noch, als ich das Abrüsten der Platte hörte und genauso schwieg sie mich an. So vergingen etliche Minuten, ehe sie zu mir sprach. „Du warst lange fort. Was ist passiert?“ Ihre Hand legte sich auf meine Brust, ich schrägte den Kopf leicht in ihre Richtung ein. „Ich hatte… ein paar Probleme. Du sagtest, du wolltest mit mir reden?“ Ich entspannte mich, als ihre Hand von mir verschwand. „Ja. Es geht um zwei Dinge. Ein neuer Einsatz steht an, bei dem ich deine Hilfe gebrauchen könnte.“ Einen Schritt tat ich beiseite. „Ehe ich zusage, müssen wir uns über etwas anderes unterhalten.“ Ein kurzer Moment der Ruhe folgte, dann hörte ich das Geräusch eines geöffneten Weinschlauches. „Ja, vermutlich. Bist du immer noch bei Thanris?“ Ihre Stimme wurde leise, samtig. Und ließ mich noch einen Schritt zurückweichen. „Du weißt, dass ich ihn niemals werde allein lassen. Nicht aus freien Stücken.“ – „Mhm.“, war ihre Reaktion. Ich hörte ihre Schritte, das Rascheln von Stoff. Sie hatte ein Kleid an. „Dann lass uns auf diesen endgültigen Entschluss trinken, hm?“ Sie nahm meine Hand und gab einen Becher hinein, den ich eher reflexartig als gewollt umfasste. Irritiert hob ich eine Braue. „Er ist dir ein Dorn im Auge. Warum willst du mit mir darüber trinken?“ – „Naja, ich freue mich für dich. Du hast jemanden für dich gefunden. Das ist etwas, nach dem viele andere Jahrtausende suchen und es dennoch nicht finden.“ Ich schenkte ihr ein halbherziges Lächeln, hob den Becher an und schnüffelte. Mondbeerensaft. „Ich hab dich wirklich gern, Ainyael. Ich weiß nicht, welche Flausen er dir in den Kopf gesetzt hat, aber ich vermisse die Zeit von früher, wo du ungezwungen mit mir umgehen konntest.“ Mit gerunzelter Stirn nahm ich einen Schluck des Getränkes. „Früher war viel anders, Larila. Ich hatte nicht viele Wege, die ich gehen konnte. Hierher war einer davon.“ Wieder spürte ich ihre Hand, diesmal an meinem Unterarm. Ich verspannte mich. „Und diesen Weg hast du nun nicht mehr?“ – „Das kommt darauf an.“ Eine Weile lang schwieg sie wieder, erneut nippte ich an dem Getränk. Ein leichter Durst entstand in meinem Rachen. „Du weißt, dass du immer zu mir kommen kannst, Ainyael. Ich werde dich nicht zurückstoßen.“ Ehe ich antwortete nippte ich erneut. Der Durst nahm zu. „Davon gehe ich nicht aus. Aber wenn ich mich nicht wohl fühle, werde ich nicht kommen.“ Ihre Finger strichen über meinen Unterarm, die vielen kleinen Narben entlang. Der Durst nahm zu. „Warum fühlst du dich nicht wohl? Ist dir die Luft zu stickig? Der Kampflärm zu laut? Wir können uns auch woanders treffen.“ Müde lächelte ich ihr entgegen, ehe ich erneut trank. Diesmal einen größeren Schluck. Dieser verfluchte Durst musste doch verschwinden. „Nichts von alledem. Und ein Treffen woanders lehne ich ab.“ Mein Herz begann zu rasen, als sie die andere Hand in meinen Rücken legte. „Was stört dich dann?“ Ich leerte den Becher und schwieg. Sie nahm ihn mir ab, erneut ertönte das Geräusch des geöffneten Trinkschlauches.

 

„Hör zu, ich habe nicht vor es dir unangenehm zu machen. Gerade dir nicht. Dein Wohlergehen liegt mir am Herzen.“ Ich lächelte matt, nahm den neuen Becher Mondbeerensaft an und schlang ihn auch gleich herunter. „Mag ja alles sein, Larila. Aber hast du schon einmal daran gedacht, dass es genau das ist, was ich nicht will?“ Kaum hatte ich die Worte herausgebracht, wurden mir die Knie weich. Urplötzlich bekam ich keine Luft mehr, jappste danach, hämmerte mein Herz gegen meine Brust. Larila fing mich auf. Ehe die Welt schwammig bunt und vollkommen fern wurde, vernahm ich noch leise ihre Worte an meinem Ohr. „Schon oft daran gedacht. Schon mal daran gedacht, dass ich das nicht hinnehmen kann?“