08.04.2013

 

Scheinbar still und ruhig beschien das Sonnenlicht die Stadt. Sie lag versteckt unter Blätterdach, wurde so in helles Grün getaucht. Kaum einer ihrer Bewohner war wach, denn es war hellichter Tag. Die meisten schliefen zu dieser Zeit und erwachten erst, als das Mondlicht im Zusammenspiel mit Blüten, Blättern und Architektur einen violetten Schimmer aufsteigen ließ.

Auch in einem der Häuser der Händlerterasse schliefen die Bewohner noch. Es war ein seltsames Bild. Einer von ihnen lag zusammengekauert im Bett, wie es sich gehörte. Ein weiterer, ein kleines Mädchen, lag in ihrem Bettchen. Ihre Brust hob und senkte sich in langsamen Zügen, sie schien ruhig und selig zu schlafen. Der letzte Bewohner saß, an eine der äußeren Wände gelehnt. Sein Oberkörper war nach vornüber gesackt, das Kinn auf der Brust. So schien auch er zu schlafen und sich an dieser ungewöhnlichen Position nicht zu stören. Wer sich aber störte, war jener im Bett. Er wandte sich hin und her, kauerte sich zusammen, krümmte sich und wimmerte. Minute um Minute wurde das Wimmern lauter, bis es zu einem Klagen wurde. Der Sitzende öffnete die Augen und setzte sich auf, beobachtete den Schlafenden eine Weile. Als sich auch Tränen auf dessen Gesicht zu sammeln begannen, stand er auf und ging leisen Schrittes herüber.

Ithedilyen zog die Stirn in leichte Falten. Sollte er ihn wecken? Er wusste, dass Ainyael viel durchgemacht hatte, das ihn nun heimsuchte. Aber er wusste auch, dass Ainyael seine Anwesenheit ablehnte, war sie zu nah. Er wagte einen Blick zu dem schlafenden Mädchen, dann ließ er sich vorsichtig am Bettrand nieder. Er beobachtete den kleineren Mann ein paar Sekunden, in denen Ithedilyen von einem Schwall seichten Glückes gepackt wurde. Er lächelte. Es war dieser Schwall, der ihn sich über Ainyael beugen, und sich den Mann genauer betrachten ließ. Er zuckte zurück, als der Schlafende instinktiv einen Arm in seine Richtung hob. Schmunzelnd fing er ihn ab, legte sacht die Hand um den von Narben gezeichneten Arm. Das helle Licht brach sich in den Tränen und deren Laufbahnen auf Ainyaels Wangen. Sorgsam strich Ithedilyen mit der Hand darüber. Dem darauffolgenden Aufseufzen des anderen entnahm er, dass jener am Aufwachen war.

Mit einem Ruck hatte sich Ainyael aufgesetzt. Instinktiv war Ithedilyen zurückgezuckt. Er blickte in das weinende Gesicht des Elfen, das halb von durchwühltem Haar bedeckt war und ließ dessen Arm los. Ainyael blinzelte die Tränen aus den Augenwinkeln, dann ließ er leise seine Stimme hören. "Bruder Mondflüstern... seid Ihr das?" Er war unsicher, das sagten Ithedilyen sowohl Stimme, als auch die hochgezogenen Brauen und die Körpersprache. "Shesh. Ja. Bleib ruhig, Lina schläft." Mit diesen Worten schlang er die Arme um den schlankeren Körper und drückte ihn an sich. Zu seiner Überraschung erhielt er keine Gegenwehr, eher im Gegenteil. Ainyael erwiderte die Umarmung, bald schon überraschend fest. Die Finger vergrub er in Ithedilyens Haar, das Gesicht an dessen Schulter. Der Atem ging stockend über seine Lippen. Weinte er etwa?

Ithedilyen versuchte etwas Abstand zwischen sich und den anderen Mann zu bringen. Sollte es Tränen geben, hätte er sich ihrer angenommen. Aber er kam gar nicht erst dazu. Ainyael vergrub das Gesicht an seiner Brust, umklammerte ihn fest und begann obendrein noch zu Wimmern. Zwar war es nun mehr als deutlich, dass er weinte, doch bewegen konnte sich so keiner von beiden. Es dauerte lange Zeit, bis Ithedilyen die Freiheit bekam, die Hände fürsorglich über seinen Rücken streichen zu lassen. Und es dauerte noch länger, bis Ainyael sich wieder gefangen hatte und von ihm abließ. Er faltete die Hände im Schoß zusammen und saß, einem Häufchen Elend gleich, auf dem Bett.

„Möchtest Du darüber reden?“, fragte er vorsichtig. Wie erwartet schwieg Ainyael erst einmal. Doch dann nickte er langsam. Seine dünne, vom Weinen brüchige Stimme erklang leise. „Ich träume von... Kath'ranis... von seinem Geflüster, von seinem leisen Lachen an meinem Ohr. Und von der Klinge, die er Strich um Strich über meine Haut zog...“ Mit leicht zuckenden Ohren lauschte Ithedilyen. War es so weit? Vertraute sich Ainyael ihm endlich an? War der Moment gekommen, den er sich seit einigen Wochen nun herbeisehnte? Er schwieg, hörte weiter zu. „.. und von Thanris...“ Er sprach nun leiser, scheinbar ging ihm dies hier näher. „Ich... er war so... ich denke, er hat sich Mühe gegeben... aber er hat's nicht getan... er hat mich nicht geliebt... er hat mich hintergegangen damit... mich einfach... allein gelassen.“

 

Ithedilyen konnte nicht anders, als zu Schmunzeln. Es war der ersehnte Moment. Und es schien, als habe er mit seiner Einschätzung Ainyaels völlig richtig gelegen. Erleichtert strich er vorsichtig eine Haarsträhne aus dem Gesicht des anderen und schwieg. Ainyael hob ihm das Gesicht entgegen. Man hätte schwören können, dass er ihn direkt ansah. Doch Ithedilyen erkannte, dass der Blinde noch immer nicht seinen Körper einschätzen konnte. Ainyael sah auf sein Kinn, als er leise weitersprach. „Und Ihr werdet auch gehen. Also tut es jetzt. Ich komme klar!“ Zuerst noch vorwurfsvoll, war der letzte Satz schon aus Wut gesprochen. „Sicher kommst du klar. Ich bin nicht hier, weil du ein Problem haben könntest.“

Ainyael hob die Brauen irritiert an. Warum war er dann hier? Was wollte er von ihm? Er wurde aus diesem Mann nicht schlau. Das Schlimmste an der aktuellen Situation aber war, dass er Tag für Tag spürte, wie instinktiv sein Vertrauen für ihn wuchs. Und ihm war hochgradig unbehaglich dabei. Er spürte Ithedilyens Hand an seiner Wange, die vorsichtige Berührung seiner Finger. Was auch immer dieser Elf vorhatte, es würde nicht funktionieren! „Warum, bei Elune, denn dann? Ihr habt absolut keinen Grund! Seit Wochen lauft Ihr mir nach, spioniert mich aus! Ihr erdreistet Euch sogar, Euch um mein Kind zu kümmern!“

Ainyael war, für seine Verhältnisse, unnatürlich laut geworden. Ithedilyens Ohren zuckten, Lina gab ein lautes Schnarchen von sich. Wie jedes Mal, wenn sie kurz vorm Aufwachen war. Es war diese Sturheit und Naivität, Ainyaels Leichtsinn und Leichtigkeit, sein Frohsinn, die ihn anzogen. Aber es schien nicht so, dass er diese Wahrheit bereits vertragen würde. Zu Ithedilyens Überraschung wehrte er sich allerdings auch nicht gegen seine Zuneigung. „Ich erdreiste mich sogar, dich beim Schlafen anzusehen. Tag für Tag. Und ich erdreiste mich auch, dich gern anzusehen.“ Mit den letzten, leise geflüsterten Worten beugte er sich leicht zu Ainyael vor. Es war eine instinktive Bewegung. Diesmal war es der andere, dessen Ohren zuckten. Er legte den Kopf leicht in den Nacken, wich seiner Bewegung so aus. Die Hände hob er aus seinem Schoß an Ithedilyens Brust. Wieder war da diese Unsicherheit.

„Selbst wenn Ihr nicht lügt, Ihr werdet irgendwann gehen.“ Ithedilyen war in seiner Bewegung gestoppt, als er Ainyaels Hände wahrgenommen hatte. Der Blinde hatte jedoch leise Worte benutzt. Mehr als klar sprach das gebrochen Herz aus ihm. Er würde so noch eine lange Weile verharren müssen. „Ich warte auf dich, Ainyael. Und darauf, dass du mich so bindest, wie du dich sicher fühlst.“ Mit diesen Worten hatte er die Hände von ihm genommen und war aufgestanden. Ainyaels Gesicht war seiner Bewegung gefolgt. Er war wieder dem Weinen nahe und es zerbrach Ithedilyen das Herz, ihn so ansehen zu müssen. Doch hier mussten sie beide durch.

Er senkte langsam den Kopf und nickte. Auch wenn Ainyael noch immer zweifelte, hatten diese Worte Hoffnung entfacht. Er hörte die leisen Schritte des anderen, als er sich aus dem Zimmer entfernte, den Holzboden verließ und begann auf Gras zu gehen. Ainyael hatte ein ungutes Gefühl im Magen. Und gleichzeitig war er... glücklich. Er hatte die Worte gehört, die er sich schon immer gewünscht hatte.

08.04.2013


Zwei Tage nun war es her, dass ich diesen Elfen das erste Mal gesprochen hatte. Zwei Tage. Und irgendwie kam ich mir vollends überwacht vor. Egal, wohin ich ging, sein Geruch lag vor mir auf dem Weg oder ströhmte mich von hinten her an. Ob es auf dem Weg zum Tempel war, um Lina betreuen zu lassen, oder auf dem Weg zur Enklave, um Neuigkeiten auszuhorchen. Kein Weg war unbewacht. Und so langsam fing es an, mich zu nerven. So etwas hatte ich schon einmal. So etwas wollte ich nicht wieder.

In der Enklave hatte mich ein anderer Späher kurz beiseite genommen. Er hatte mir von diesem 'Ithedilyen Mondflüstern' erzählt. Ein Mann, der sich hinter einem Umhang und einem hohen Kragen, einer Maske gleich, verbarg. Er sprach nicht viel, beobachtete nur. Es schien, als seien seine Augen überall, würde er alles aufnehmen. Und vorallen Dingen: Man wusste nicht, wer er war. Und wohin er mit seinen gewonnen Informationen ging. Eine Person, von der ich eigentlich mehr als nur einigen Abstand halten wollte. Zudem gab es keinen Grund, der mir einfallen wollte, warum er gerade in meiner Umgebung Dauergast war. Es gab nichts wirklich Interessantes, was ich preisgeben konnte. Oder unter einer solchen Bewachung preisgeben würde.

Obwohl er hatte plaudern wollen, hatte er diese beiden Tage kein Wort mit mir gesprochen. So war ich zu Calyon gegangen, er hatte mit mir reden wollen. Ich hatte einen Moment genutzt, in dem mich dieser Elf mal allein gelassen hatte. Aber ironischerweise fand ich ihn an Calyons Seite, als ich eintraf. Ich würde ihn nicht los werden. Dafür erzählte er beunruhigende Dinge. Von Vorfällen an der Dunkelküste, seltsamen toten Tieren. Ich sollte sie untersuchen und meine Meinung dazu kund tun. Und so war ich mich aus meiner Robe pellen und Rüstung anlegen gegangen. Wieder wurde ich beobachtet.

Nun lauschte ich den leisen Bewegungen dieser Jägerin. Sie war uns über den Weg gelaufen, als Ithedilyen mir die Leichen zeigen wollte. Jägerin Nachtweise, so hatte sie sich vorgestellt. Calyon habe sie zum Militär geschickt gehabt. Gut möglich, wenn es kurz vor unserem langen Einsatz gewesen war. So verzögerten sich Dinge eben. Jetzt aber war sie hier und ein Augenpaar mehr mitzunehmen, war eine gute Idee gewesen. So war sie es gewesen, die die Körperfunde untersucht und meine Fragen beantwortet hatte. Sie schien eine fähige Späherin. Genau so, wie sie sich beschrieben hatte. Ich war gespannt, was ich von ihrer Bogenkunst erwarten konnte.

Bruder Mondflüstern hatte die Jägerin über einen Berg geschickt. Dort würde sie den letzten Leichnam entdecken. Ich hörte, wie er sich zu mir wandte und vernahm seine gedämpfte Stimme. "Kommt, ich bringe Euch zu Lina." Er klang ruhig und dennoch begann Unruhe in mir zu schwelen. Er war gut, er hatte ihren Namen herausbekommen, obwohl ich tunlichst vermieden hatte, ihn zu nennen. Ich nickte, er nahm mich, wie selbstverständlich, an der Hand. Als ob er nie etwas anderes getan hatte, führte er mich durch den Wald, sichere Pfade. Es war erstaunlich und schien völlig normal für ihn zu sein. Noch während ich mich über die Tatsache freute, wieder jemanden gefunden zu haben, der für mich Augen sein könnte, setzte sich ein Kloß in meinen Hals. Das letzte Mal, dass jemand diese Aufgabe für mich derart perfekt ausgefüllt hatte, war es Kath'ranis gewesen.