23.08.2011

 

„Bin ich zu weit gegangen?“ Seit Tagen schon hämmerte genau dieser Gedanke im Schädel des Elfen, dessen Säbler sich unter ihm beständig und unermüdlich durch die Wellen der ehemals schimmernden Ebene schob. Vier Tage war er jetzt unterwegs gewesen, abseits der Wege, immer versucht keine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Und vorallem: Keine Spuren zu hinterlassen.

Nachdem er Thanris zusammengeschlagen hatte, eine Tat, die er aus tiefstem Herzen und mit schneidenden Gefühlen bereute, hatte er seinen Säbler hinter sich gelassen und sich ein neues Tier geliehen. Im Süden Desolace' hatte er begonnen seine Spuren zu verwischen. Auf seinem Weg war er an der Mondfederfeste und Neu – Thalanar vorbeigekommen, hatte stets nur kurz gerastet und versucht unscheinbar zu sein. Ein paar Bekannte hatte er hier noch, führte sich aber nicht auffällig auf und ermahnte sie, ihn nicht erkannt zu haben. Mit ausgeruhtem Säbler und vollen Provianttaschen machte er sich auf die Weiterreise. Mittlerweile war er fast am Ziel, nur noch einmal würde er zugunsten des Tieres rasten.

„Ich hätte das nicht tun sollen. Irgendwie war er ohnehin schon angeschlagen gewesen. Und ich habe es noch verschlimmert. Aber was hätte ich tun sollen? Er wäre mir ohnehin wieder gefolgt. So wird er hoffentlich wütend genug sein genau das nicht zu tun.“ Und das war auch seitdem seine einzige Hoffnung gewesen: Er hoffte, Thanris würde sich vor lauter Wut vergessen, würde ihn verwünschen und dem Ganzen so ein Ende setzen. Ein Ende mit Schrecken, kein Gutes und auch keines, das Ainyael gefiel. Aber ein Ende. So viel war sicher.

„Und wenn es doch nicht sicher ist? Wenn er hinterher kommt, trotz alledem?“ Unsicherheit breitete sich in ihm aus. Was würde er tun, wie würde er reagieren, wenn Thanris dennoch wieder auftauchte? Ainyael schüttelte sich, versuchend den Gedanken wegzuwischen. Das Tier unter ihm knurrte und richtete sich auf. Seine Bewegungen gingen merklich von einem Schwimmen zu einem Laufen über. „Ah, Land. Es wird Zeit für eine Pause“, sprach er leise. Das waren wohl auch die Absichten des Säblers gewesen, der an einer kleinen Stelle ebener und nicht gewässerter Erde Halt machte. Der Elf ließ sich von dessen Rücken rutschen und begann sein notdürftiges Lager aufzuschlagen. Mit etwas mitgebrachtem Feuerholz brachte er ein kleines Feuer in Gang, das gerade für ihn als kleine Wärmequelle reichte.

Er nahm eine Decke aus den Satteltaschen des Tieres, das sich bereits langgelegt hatte. Ainyael entfaltete sie, legte sie aber erst einmal ab. Der Hunger seines tierischen Gefährten ging vor und so stöberte eine Zeit in den Taschen herum. Schließlich holte er einen Happen Fleisch hervor, sowie ein eingepacktes Brot. Das Fleisch gab er dem Tier, dann nahm er sich die Decke und schwang sie sich über die Schultern. Er zog den Stoff um sich, dann ließ er sich nieder und begann selbst zu essen. Das Mondlicht schien auf ihn herab, ließ die kleine, ruhige Szenerie sanft aufleuchten.

Ainyael lehnte den Kopf an den Felsen hinter sich, an dem er sich angelehnt hatte. Es hätte alles so schön sein können. Sie waren sich in Darnassus begegnet, er hatte sofort Interesse an Thanris gewittert. Doch der stellte sich mit der Zeit als sehr engstirnig und in sich gezogen heraus. Wie Ainyael eben war, hatte er sich davon nicht kleinkriegen lassen. Er hatte nachgehakt, immer wieder, unerbittlich. Zuerst schien das auch zu fruchten. Doch umso mehr er schließlich tiefer ging, umso mehr wehrte Thanris ab. Sie begannen viel zu streiten, vorallem aber ernst zu streiten. Keine gespielten Keifereien mehr. Umso mehr hatte es Ainyael überrascht, als Thanris sich besorgt über seine Verletzungen zeigte, sogar mit nach Tanaris wollte. Ainyael war hin und hergerissen gewesen: Einerseits diese schiere Freude, dass der Elf im folgen wollte. Andererseits die düstere Vorausahnung, dass es schwer, wenn nicht gar untragbar für ihn werden würde.

Und so war es dann auch gekommen. Ainyael wusste nicht mehr weiter. Er fing an zu meckern, hielt Thanris Dinge vor, für die er nicht verantwortlich war. In Tal'Darah hatte er sich mehrere Stunden Auszeit gegönnt und nachgedacht. Warum das alles so war, wie es war. Warum er nicht Frieden geben konnte, wenn er von Thanris zurecht gewiesen wurde. Warum er dem Elfen immer wieder frustriert gegenüber stand. Zuerst hatte er gedacht, es wäre wegen seiner eigenen Engstirnigkeit gewesen. Aber an jenem Abend musste er feststellen, dass es nicht nur Worte waren, die ihm über die Lippen kamen, wenn er Thanris anfuhr, er könne ihm nicht geben, was Ainyael wolle. Ab jenem Abend war es Gewissheit gewesen: Er wollte den Elfen, seine andere Seite, sein Vertrauen. Seine Liebe. Thanris hatte sich nicht irgendwie in sein Herz geschlichen. Er hatte sich hinein geprügelt, sich fest gesetzt und ließ nicht mehr los. Und genau da lag das Problem.

Thanris hatte sich zwar in Ainyaels Herz festgesetzt, doch andersherum sah es nicht so aus, da war er sich sicher. Warum sonst ließ er ihn nicht ein, wehrte jegliche Versuche ab? Für Ainyael gab es einfach keine andere Erklärung. Thanris fühlte nicht im Ansatz wie er. Warum er mitgekommen war, warum er überhaupt bei ihm geblieben war nach all dem Streit, war für ihn unerklärlich geworden.

Im Streit in Desolace, an Karnums Lichtung, hatte Thanris gesagt, er könnte sowas nicht. Er könnte kein Freund sein, wie jeder andere. Aber das sollte er auch gar nicht! Er wollte keinen Freund, davon hatte er genug. Viele hundert Jahre war es hergewesen, dass er sich das letzte Mal für ein anderes Wesen derartig interessiert hatte. Nie hatte er es darauf angelegt, es passierte einfach. Genauso wie mit Thanris eben auch. Bisher hatte er nie einen Grund gehabt sich dagegen zu wehren. Aber seine Geduld mit dem anderen hatte ihre Grenzen gefunden. Er hatte gesagt, er würde nicht gehen, wenn er nicht fortgeschickt würde. Eine Tat, die Ainyael nie verbringen konnte. Aber er konnte ihn daran hindern zu folgen. Und das hatte er auch getan. Mit Erfolg.

Noch immer lag das Ächzen des Elfen in seinen Ohren. Noch immer hatte er Mitleid, noch immer bereute er. Aber was hätte er anderes tun sollen? Mit Worten kam er nicht weiter, also musste es mit Taten gehen. Seufzend umklammerte er seine Knie, nachdem er die Beine angezogen hatte. Eigentlich wollte er gar nichts anderes als bei ihm sein. Bei Thanris sein und sich an ihn drücken. Aber es war besser so. Fernab konnte sein Herz sich beruhigen, konnte es vergessen. Eine notwendige Tat. Eine, die er nicht bereute. Oder doch? Was würde passieren, wenn er Thanris wieder sah? Er wollte ihm um den Hals fallen, ihn nie wieder loslassen. Anstattdessen aber würde er sich gegen ihn wehren müssen. Es war widerlich. Einfach widerlich. Gezwungen zu sein denjenigen von sich zu stoßen, zu dem es einen am meisten hinzieht. „Thanris... Komm wieder. Und hör auf dich zu verstecken.“