14.03.2012

 

Portalzauber sind immer so eine Sache. Auch den eigenen zur Mondlichtung, der nun nicht durch das Ley der Magier gerufen wurde, nahm der Druide dieser Tage nur schlecht hin. Als sich seine Sinne schärften, sein Körper sich materialisiert hatte, musste er sich schütteln. Instinktiv glitt eine Hand in seinen Nacken, ertastete das runde Mal. Beruhigt strich Calyon die Haare glatt. Keine Erhebung, kein Anzeichen irgendeiner Veränderung. Alles so, wie es sein sollte. Vielleicht war noch Zeit genug alles in richtige Bahnen zu lenken. Er wollte nicht einfach verschwinden, wie beim letzten Mal. Und vorallem wollte er nicht, dass seine Rettung diesmal das Leben eines Druiden fraß. Oder gar eines Schülers. Das Bild des jungen, rothaarigen Mädchens schob sich in seine Gedanken. Roseli wäre vermutlich momentan die Erste, die nach ihm suchen würde. Und nichtsahnend, unvorbereitet und machtlos in die Falle gehen würde. Der Druide knurrte und schüttelte sich, im Versuch den bedrückenden Gedanken loszuwerden. Doch irgendwie wollte es ihm nicht gelingen, war sie ja gerade der Grund seines Hierseins.

Langsam trugen seine Schritte den Druiden durch Nachthafen. Er ging gebeugt, müden Blickes, der Welt offenkundig überdrüssig. Ein Zustand, den er hier nicht zu verbergen brauchte, wie er es in der Stadt tun musste, wussten doch nahezu alle Bewohner um ihn und seine Geschichte. Er war nicht neu hier, wurde von nahezu Niemandem auch nur eines Blickes gewürdigt. Und so kam er auch unbehelligt an Remulos' Schrein an.

Aufrecht stand der Bewahrer auf der kleinen Lichtung, die seinen Namen trug. Selten bewegte er sich von hier fort, stand er doch als ständiger Ansprechpartner für Druiden und Wanderer zur Verfügung. Der kräftige Elfenkörper wandte sich halb zu dem Neuankömmling herum, während der hirschartige Unterleib dem ankommenden Druiden noch immer die Flanke zeigte. Als Remulos seinen alten Schüler erkannte, hob er eine Braue. Ein altes, vertrocknetes, bereits brüchiges Blatt segelte zu Boden nieder, losgelöst aus dem dunkelgrünen Haar des Bewahrers. „Calyon... deine Anwesenheit ehrt mich. Und erstaunt mich, denn du bist in den letzten Monden oft hier gewesen.“ Der Druide hob ihm den müden Blick entgegen, einer Antwort gleich, die Remulos durchaus verstand. „Es geht wieder los, hrm? Beunruhigend, die Abstände werden immer kleiner.“ War die Stimme des Bewahrers tief, aber gut vernehmlich, so war Calyons Stimme nicht viel mehr als ein dumpfes Flüstern. „Ich sehe ihn in meinen Träumen. Im letzten trieb er mir einen Dolch in den Rücken, aber ich fürchte, es ist wiedermal nur Trug.“ Hier ließ er sich mit schmerzendem Murren nieder. „Außerdem,“ fuhr er fort, „gibt es bedenkenswertere Dinge. Remulos sah ihn fragend an. „Welche?“ - „Ich vergesse.“ Einige Sekunden des Schweigens vergingen, ehe Calyon erneut die Stimme erhob. „Neulich kam Roseli zu mir. Wir unterhielten uns, sie fragte mich, wobei ich Freude empfinden würde. Ich hatte keine Ahnung.“ Ruhig hielt der Druide den Blick auf den Bewahrer gerichtet, der mit einem Seufzen nickte. „Vorhin kam sie mit einem Kartenspiel zu mir. Sie musste es mir erklären, ehe ich es spielen konnte. Dabei habe ich doch viele solche Dinge früher getan? … Oder nicht?“ Mit ernster Frage sah Calyon zu Remulos auf, der ihn wahrlich besorgt musterte. „Eigentlich kennst du sehr viele Spiele. Und spielst sie auch gern, Schattentritt.“ Calyon nickte, fiel wieder eine Weile in nachdenkliches Schweigen. Warum gerade die Spiele? Hatte er vielleicht noch mehr vergessen als das? Die Braue wölbte sich nach oben, ehe Remulos das Wort erhob. „Wie lange träumst du schon davon?“ - „Ich weiß es nicht genau. Ein halbes Jahr? Ein Jahr? Nach der Sache im Hyjal. Ich ging wohl zu offen gegen die Feuer vor.“ Der Bewahrer nickte schweigend, bis er den Kopf hob und gen Nachthafen blickte. „Mhrm... Der Auftrag dieses seltsamen Drachen, nicht? Du warst wirklich etwas eifrig. Hast du danach jene Magie gespürt?“ Calyon schüttelte den Kopf. „Nein. Aber das mag nichts heißen. Er hat uns so oft schon ausgetrickst und hinters Licht geführt.“ - „Bleib ein wenig hier, berichte, wenn noch etwas eintritt. Außerdem werde ich mir deinen Zustand mal genauer ansehen müssen.“ Diesmal nickte der Druide. „Ich weiß. Ich habe Roseli schon auf die nächste Woche vertröstet. Mhrm...“ Mit einem Stirnrunzeln wandte er den Blick zu Boden. Da war er an der Sache, die er eigentlich als problemhaft empfand. Aber sollte er es erzählen? Remulos galt all sein Vertrauen, aber ging das hier zu weit? "Ich könnte mir niemand anderen vorstellen, bei dem ich sein wollte. Aber tausend Orte, an denen ich mit dir hingehen würde." Wie ein Blitz schoss die Erinnerung in seine Gedanken, ließ ihn sich schütteln. Mehrmals schon hatte er diese Worte vernommen in seinem Leben. Und nie waren sie wirklich für ihn bestimmt gewesen. Der Bewahrer ließ ihm seine Zeit zu denken, wandte sich herum und ging ein paar Schritt im Dunklen der Lichtung. Eine Zeit des unsicheren Haderns folgte, ehe er doch aufgefordert wurde. „Was ist los, Schattentritt. Wenn es „nur“ diese eine Sache ist, ist die Vorgehensweise klar. Du bleibst hier, ich kümmere mich darum.“ Mit einem Seufzen begann er also zu erzählen. „Nein, das ist es nicht. Es ist vielmehr... mhrm. Roseli. Sie ist seltsam in letzter Zeit. Ich weiß nicht, wie lang es schon geht, du weißt, ich bin nicht gut darin solche Dinge zu bemerken. Aber vor einiger Zeit bot ich ihr an in meine Höhle zu ziehen. Du weißt, sie hat sonst niemanden und ich möchte nicht, dass ihr irgendetwas geschieht.“ Eine kurze Pause folgte, die Remulos nutzte. „Du hast es oft so gehalten und wir haben es gut gehießen. Eine gute Beziehung zwischen Lehrer und Schüler ist immer anstrebsam. Bei dir gab es damit nie Probleme.“ Eine gute Beziehung... war es das denn? Calyon schüttelte erneut den Kopf. „Mein Lager ist groß. Ich hatte Angst, sie könnte beim Schlafen zu frieren anfangen und bot es ihr an. Normalerweise ist sie eingänglich, artig und ruhig. Hier wurde sie bockig und stur, beharrte auf ihr eigenes Lager. Nja, es ist ihr Wille und ihre Entscheidung. Ich werde sie nicht zwingen. Was ich seltsam finde ist, dass sie selbst nicht weiß, warum sie derart reagierte.“ Remulos wandte sich wieder zu ihm herum. „Und? Sie ist sechzehn. Sie muss noch nicht wissen, warum sie wie funktioniert. Das wissen viele im hohen Alter nicht einmal. Sogar ich weiß nicht, warum ich manchmal reagiere, wie ich reagiere. Es ist einfach so.“ - „Mhrm, schon. Sie irritiert mich. Sie antwortet auf einige Fragen sehr klar und präzise. Bei manchen Fragen finde ich es... mhrm... nein, macht es mir Angst.“ Jetzt war es der Bewahrer, der irritiert die Brauen hob. „Angst?“ Calyon nickte. „Ja. Sie sagt, sie sei glücklich bei mir. Sie wolle nicht weggehen, egal was passiere. Sie fühle sich zuhause bei mir. Und vorallem möchte sie wissen, WER ich bin.“ - „Wer du bist oder wer du bist?“ - „Wer ich wirklich bin. Ich kann es ihr nicht sagen, Shan'Do. Auch wenn sie meint, das alles ertragen zu können. Sie will es auf sich nehmen.“ Er seufzte, hob dann die Schultern aufgebend an. Remulos murrte, wandte den Blick wieder gen Nachthafen.

Die Reise hatte keine Woche gedauert. Calyon saß auf dem Rücken seines Hippogryphen, lag schwer auf dem Rücken des Tieres. Sein Geist war müde und schwach, er würde einige Zeit der Regeneration brauchen. Die von Remulos gewebte Fessel um sein Innerstes saß wie gewohnt gut und fest, als Nebenwirkung aber wurde stets auch ein Teil von ihm selbst gebunden. Er meinte sich wieder an alles zu erinnern. Ja, er kannte das Kartenspiel bereits. Und er hatte es immer gern gespielt.