Leithian

03.07.2012

 

War er wirklich so leicht zu durchschauen? Lange war es her, dass er so sehr darauf fixiert wurde. Eigentlich ging er davon aus, dass seine Maske mittlerweile ohne weiteres standhielt. Doch diese Priesterin hatte binnen Sekunden den Elfen durchschaut, war binnen einer Stunde so weit in ihn gedrungen, dass er nun unter der Last ihrer Worte schwankte.

Über seine Mutter mit ihr gesprochen zu haben, und den Ängsten und Verlusten, den Zweifeln, die daraus erwuchsen, sich zu stellen war nicht so schlimm gewesen. Er war selbst darüber überrascht, wie leicht er dies Thema eigentlich abgetan hatte. Aber als sie anfing über seine Verzweiflung zu reden, ihm Punkt für Punkt von ihm erzählte, begannen seine Gedanken zu rasen. Zu dem einen Punkt hin, der ihm eigentlich immer Halt versprochen hatte. Innerlich formte sich das Bild der schlanken Elfe vor ihm, deren starker Blick ihn so faszinierte. Das kurze, weiße Haar, die feinen Finger, die sanften Lippen. Jeder einzelne Zug ihrer Muskeln, der Knochen, das Spannen der Haut darüber, kam ihm wieder in den Sinn. Das Bild war derart stark, dass er förmlcih ihren Geruch wahrnahm.

Als er stehen blieb, sah er auf. Was er durch die tränenverhangenen Augen sah, war das Haus, in dem sie früher zusammen gelebt hatten. Auch wenn es nur kurz gewesen war. Er hatte es gemieden, seitdem er aus dem Hyjal wieder hier war. Er hatte es gemieden, weil er sich dreckig fühlte, nicht mehr wert dort einzutreten. Das Haus war fast nie bewohnt, wäre sicherlich ein gutes Heim gewesen. Aber für wen? Für ihn sicher nicht.

Davon abgesehen, dass er nun allein war, dass er sie für immer verloren hatten, war er ihr nicht treu geblieben. Er verfluchte sich innerlich dafür, dass er derart schwach geworden war. Nun, nachdem er die Affäre durch einfaches Fortgehen beendet hatte, fühlte er sich noch schlimmer als je zuvor. War er so schwach, dass er über seinen Verlust nicht wegkommen konnte? Hatte die Priesterin recht gehabt, und er klammerte sich an Sinnlosigkeiten und Unwahrheiten?

Schwankend verharrte er von dem Haus. Er erinnerte sich an gemeinsame Abende dort, zusammen gestritten, zusammen unter einer Decke gesteckt. Er konnte den Blick einfach nicht abwenden, als ihn Erinnerung um Erinnerung umspülte. Er wurde fortgerissen, mitgetragen, von Gefühl und Zweifel, von Hoffnung und Trostlosigkeit. Um ihn herum lebte die Stadt ihr Leben, stundenlang, bis er vor Erschöpfung auf die Knie fiel. Niemals hätte er gedacht, so sehr an seine Grenze zu kommen. Doch wo war sie hin? Wo war sein Halt hin? Von Tränen war der Blick getrübt, nahm er nichts mehr wahr. Es interessierte ihn nicht. Alles, was er sehen musste, war in seinem Herzen.