Orithil Krähenflug

 

30.09.2011


"Ainyael!" Orithils Stimme hallte in meinem Schädel wider, ließ mich zusammenfahren. Die kleinen Phiolen rutschten aus meinen Fingern, mit leisem, zerschellendem Klirren kamen zwei auf dem Boden an. "Kämpfen, sofort." Seine Tonlage hatte Ähnlichtkeit mit der eines Orks kurz bevor er zum Schlag ausholte. Und sie duldete keine Zurückweisung. "Hilf mir wenigstens beim Scherben auflesen", seufzte ich. Aggressives Knurren schlug mir entgegen, dennoch setzte er sich in Bewegung. Eine genuschelte Entschuldigung fand den Weg zu mir, während der Elf die Scherben einsammelte. Ich erhob mich, schob die Füße suchend über den Boden während ich lief. Irgendwo beim Bett musste meine Rüstung sein. Das weiche Leder berührte meine Füße, als es hinter mir noch knurrte und grantete. "Was hast du gebraut." - "Lediglich das Zeug zum Schmerzstillen. Nichts Besondres, keine Sorge. Außerdem waren die Phiolen leer." Ein Brummen war die Antwort, dann herrschte Stille. Wohl wissend um die Prügel, die ich gleich würde einstecken müssen, legte ich die Rüstung an. Ab und an, vermutlich aus Ungeduld, spürte ich die helfenden Finger des Mannes am Leder. Die Prozedur ging schweigend von statten.

Orithil führte mich, mit Pfiffen lotsend, zum Übungsplatz der Stadt. Ich hatte kaum die Klingen gezogen, als ich den Lufthauch seiner Bewegung verspührte und instinktiv einen Schritt nach hinten wich. Seine Klingen surrten an mir vorbei, sein Knurren mischte sich mit dem Geklimper seiner Kettenrüstung und dem Fauchen seiner Säblerin. Keine Frage, der Elf war wütend. Selten hatte ich Orithil wütend gesehen, meist war er freundlich und höflich. Aber in letzter Zeit lag ohnehin etwas im Argen bei ihm. Er pfiff, währrend er die Klingen anhob, machte fairerweise die Bewegung so für mich sichtbar. Ich richtete mich aus, ging in die Defensive. Kaum stand ich bereit durchzuckte das Geräusch aufeinanderprallenden Metalls die laue Nacht. Unter der wütenden Kraft seines Schlages gaben meine Arme nach, ließen seine Klingen mit einem Schaben an meine entlanglaufen. Wieder ein Knurren, wieder machte ich instinktiv einen Schritt zurück. Ich seufzte. "Erzähl lieber anstatt mich zu Brei zu prügeln!", fauchte ich Orithil entgegen. Wieder war nur ein Knurren die Antwort.

Zwei Stunden wütenden Schlagabtausches später hatte ich es geschafft in diesem Wutabbau die Oberhand zu bekommen. Zweifelsohne war Orithil ein überaus begabter Mann an den Waffen, aber ohne Bogen war er nicht ansatzweise ausdauernd genug in einem wirklichen Gefecht standhalten zu können. Ich roch den Schweiß auf seiner Haut, spührte seine Schläge schwächer werden, hörte das Rasseln seines Atems. Richtungsweisende Pfiffe waren nunmehr nur gehaucht. Allzu viel besser sah es bei mir nicht aus. In all dieser Zeit hatte ich keinen Angriff geführt, hatte mich von ihm auf dem kleinen Platz herumtreiben lassen wie Vieh. Ich schwitze, die Konzentration ließ nach, meine Abwehr begann zusehends zu wanken. Zwischen all den Geräuschen des Kampfes vernahm ich kurz Schritte hinter mir und tatsächlich, Orithils Angriff verebbte mitten in der Bewegung. Ein Fehler. Ich holte aus, pfiff und ließ mein Schwert diagonal gen seiner Brust schlagen. Nur knapp konnte er den Schlag abfangen, dann zischte er wieder. "Ruig ihr zwei. Ihr macht ja einer Horde Orks an Lautstärke Konkurrenz." Es war die tiefe, raue Stimme Calyons, die mir sogleich ein Lächeln ins Gesiht trieb. "und selbst darin wären wir besser als sie!" Ich lachte auf, fühlte das Stutzen der anderen beiden Männer, die aber schließlich in meine Belustigung einstiegen. "Wohl wahr, daran gibt es keinen Zweifel. Und an Verrücktheit übertriffst du sie ganz ohne Orithils Hilfe." Wieder ein Lachen von mir, das erst verebbte, als Calyon erneut die Stimme erhob. "Und jetzt erzählt, warum prügelt ihr euch?" Um ehrlich zu sein, ich wusste es noch immer nicht. Und dementsprechend hob ich die Schultern an. "Na?" seine Stimme duldete keine Ausreden, so viel war klar. Schließlich war es Orithil, der sprach. "Weil ich nicht verstehe wie man in dieser verfluchten Welt zehntausend Jahre leben kann. Ständig bekommt man eine ins Maul." Ich erschrak ein wenig. Seit wann sprach er so? Stets war er diszipliniert gewesen, allen ein Vorbild an Höflichkeit und Respekt. Doch diese Grantigkeit hier klang so gar nicht danach. Und vermutlich ging das auch in Calyons Schädel herum. Zuhörend setzte ich mich, froh über eine kleine Pause.

"Noch immer Probleme mit den Schwestern?" - "Ja. Es wird eben einfach auch nicht besser, wenn nichts getan wird. Natürlich sehen sie mich unfähig. Seht mich an, ich bewirte das Teehaus und zu mehr bin ich nicht im Stande." Er grollte tief. "Bleb ruhig, Findariel. Es ist nicht aller Tage Abend und du hast noch viele Jahr vor dir. Die Zeiten machen uneinsichtig. Dagegen bist du genausowenig geweiht wie die Schwestern. Tue das, was du kannst. Und tue es mit Hingabe. Der Rest kommt von allein." - "Ich tue meinen Dienst. Das mache ich jetzt seit Jahren. Ich bin treu, loyal, gelehrig nd gehorsam. Was denn noch? Was soll ich noch tun?" Verzweiflung hatte sich in der Stimme des jüngeren Elfen breit gemacht. "Du selbst sein. Aber ich sehe, du kannst es gerade nicht, hast dein Gleichgewicht verloren. Das ist nicht schlimm. Gönn dir Ruhe, Zeit für dich allein." Die Antwort war lediglich ein Brummen, nach dem erst einmal Stille folgte.

Schließlich war ich es, der wider sprach. "Ich weiß nicht, ob er wiederkommt." Ich sprach leise, ließ die Bedrückung meiner Gedanken die anderen beiden hören. Und spührte auch sofort deren Blicke auf mir. Sollte ich wirklich weitererzählen? Bisher wusste Calyon nichts von Thanris und eigentlich war es mein Plan gewesen es auch dabei zu belassen. Dennoch kreisten meine Gedanken beständig herum, schürten Sorge und Zweifel. Irgendwo musst ich damit hin. Und diesen beiden konnte ich vertrauen. Also fuhr ich fort. "Ich war nicht allein in Tanaris, Calyon. Ich hab die Zeit mit einem Elfen verbracht. Mit Thanris. Wir haben viel gestritten, aber wisst ihr, ich mag nicht mehr ohne ihn." Das murrige Brummen Orithils unterbrach mich kurz. "Aber er konnte nicht mit zurück. Er hat einer Frau ein Versprechen gegeben und wollte dies einlösen. Er hat mir versprochen nach einer woche wieder bei mir zu sein. Aber irgendwie..." - "Du zweifelst." Calyon unterbrach mich, ich nickte. "Ja. Er ist ein Mann, sie kennen sich seit Jugendtagen. Was soll ich da schon ausrichten können?" - "Deine Liebe unterscheidet sich nicht von der einer Frau. Beides ist Liebe." - "Schon. Aber weiß ich, dass er mich erwidert? Dass ich nicht einfach irgendein Spiel bin? Ich komme mir oft so vor, wenn er mit mir umgeht. Und ich glaube einfach, dass das kein Spiel wäre. Vermutlich hat seine Mutter noch die Finger im Spiel." Wieder wurde geschwiegen. Luft bewegte sich neben mir, auch Orithil hatte sich nun niedergelassen. Wenig später folgte auch Calyon. "Ich hoffe, dass du nicht enttäuscht wirst." - "Ich ebenfalls. Schon allein, weil ich dich nicht ständig auf meinem Schoß sitzen haben will." Ich schmunzelte, denn endlich schwang Witz in Orithils Worten mit.

Wieder schwiegen wir eine Weile, bis auch Calyon seine Stimme erhob. "Roseli ist zwar wiedergekehrt, dafür vermisse ich Leliane. Seit Wochen nun habe ich sie nicht gesehen. Und auch keine Ahnung, wo sie sein könnte." Wenn sogar den Bären Sorgen plagten waren es wahrlich schlimme Zeiten. "Vermutlich mit der Prüfung beschäftigt, meinst du nicht?" Währrend Orithil sprach musste ich wieder n Thanris denken. Die wenigen Tage ohne ihn wren Qual gewesen. Wenn ich Pech hatte, wovon ich bei meinem Glück ausging, würde ich noch Jahre auf ihn warten. "Vermutlich ja. Aber wissen tue ich es nicht. Ich hasse das." Doch weder ich noch Orithil wussten darauf etwas zu erwidern. Wir drei wollten ohnehin nichts davon hören, was man tun könnte oder wollte. Es tat einfach nur gut es ausgesprochen zu haben.

Lange Zeit noch hatten wir schweigend gesessen, bis Calyon seinen Hunger stillen gegangen war. Auch Orithil war schließlich gegangen, die Säbler mussten gefüttert werden. Eine kurze Zeit noch hatte ich dort gesessen, im Gras, den Vögeln und dem Treiben der Stadt gelauscht, das trotz unseres kleinen Gefechts unberüh weitergegangen war. Wie gern hätte ich die Zeit mit Thanris verbracht, anstattdessen war ich diese Woche nahezu immer allein gewesen. So auch wie jetzt, als ich mich erhob und zu seinem Zimmer zurückging. Viele Male war ich diesen Weg nun gegangen. Oftmals ohne Gepäck, aber gerade zu Anfang mit viel davon. Kräuter hatte ich haufenweise den Aufgang hinauf getragen, zum Schluss sogar eine Destillationsapperatur. Ich hatte begonnen wieder Tränke herzustellen, teils aus Langeweile, teils weil in Tanaris einige davon aufgebraucht worden waren.

Orithil hatte mich mitten im Abfüllen eben jener Tränke unterbrochen. Aber mir war nicht danach jetzt weiterzumachen. Im Zimmer angekommen legte ich die Rüstung ab und zog mir eine leichte Hose und ebenso leichtes Hemd an. Ich nahm mir Seife und Handtuch, dann verließ ich das Zimmer wieder. Meine Füße führten mich den Aufgang herunter, dann folgten sie immer weiter den Steinen des Weges. Hinaus aus der Stadt, hinein in den Wald. Hin zu den kleinen Seen nahe Darnassus, an deren Rand einer der Mondbrunnen stand. Keine Ahnung, wie sie hießen, ich hatte sie selbst entdeckt, ohne Hilfe. Am Rand des Ufers legte ich die Kleidung ab, die Seife an den Rand. Mein Körper glitt ins Nass. Kälte stieg in mir auf, ließ mich frösteln. Dem Ganzen zu entrinnen beeilte ich mich, schrubbte mich nur unsauber mit der Seife ab und flüchtete regelrecht wieder aus dem Wasser heraus. Dennoch hatte es mir Freude bereitet, so dass laut auflachte. Ich rubbelte mich halb trocken, schlang mir das Handtuch dann um die Hüfte, nahm meine Kleidung und verzog mich wieder in die Stadt. Hatte mich jemand gesehen, halbnackt? Es interessierte mich nicht, sollten sie doch. Ich bin ohnehin der verrückte Blinde, war es schon immer und werde es bleiben. Und mit dieser Erkenntnis und einem Lächeln auf den Lippen kuschelte ich mich unter die Decke, nachdem ich ungeachtet aller Ordnung den Rest meines"Gepäcks" daneben fallen ließ. Ob Thanris sich daran gestört hätte? Ob er diesen Moment mit mir geteilt hätte? Ob er jene seltenen Momente von Zärtlichkeit hätte entstehen lassen? Ich vermisste ihn, seinen Geruch, seine Stimme, sein Geknurre. Hoffentlich. Hoffentlich kam er bald wieder.