12.07.2011

 

Die Sonne war kurz davor über den Horizont zu blicken, eine Zeit, in der Darnassus vollkommen ruhig da lag. Fast vollkommen ruhig zumindest heute. Mit einem Ächzen ließ er sich neben dem wartenden Bären nieder, rollte sich herum und murrte. Der große, dunkele Bär sah den in weißlichem Silber glänzenden Säbler an, gähnte und zeigte ihm die Zähne. Ja, er war spät dran. Der Bär wandelte sich, machte einem großen, muskulösen Mann mit nachtblauem Haar Platz. Die Wandlung verzog sich schnell, geübt und elegant. Die Wandlung des weißen Säblers hingegen glich eher einem Fliehen aus der Gestalt. Auch hier erschien ein Mann, kleiner, dünner, aber immer noch trainiert und muskulös. „Du bist spät, Orithil.“ – „Ja, ich weiß. Ich hatte noch etwas zu erledigen.“ – „War die Frau wieder so schön, dass du drei Mal mehr Zeit dort verbringen musstest?“ Warum Freunde immer wieder die eigenen Fehler vorhalten mussten, war dem Elfen schleierhaft. „Nein. Ich hab nachgedacht.“ Calyon nickte, ließ sich langsam und unter Ächzen nieder. „Erzähl, worüber?“ Im Gegensatz zu sonst, wenn er erzählen sollte, kam in ihm nun keine Hemmung auf. Eher im Gegenteil, sein Redefluss ergoss sich im Vergleich zu sonst einem Wasserfall ähnlich.

„Vor einiger Zeit hat Anarya bei einem Spaziergang etwas aufgenommen. Mich kümmerte es nicht, du weißt, sie macht so was öfter. Wir gingen zum Tempel und dort legte sie es einer Priesterin zu Füßen. Die Frau nahm es an, blickte es sich an und gab es mir wieder. Ich solle doch die Elfe finden, der das Pergament gehört und soll sicherstellen, dass es ihr gut ginge. Ich habe sie in Lor’Danel getroffen, aber als ich sie ansprechen wollte, ging sie fort. Eigentlich wollte ich Waren für das Teehaus besorgen und so brachte ich diese erst einmal zurück. Ich suchte sie, brauchte aber nur kurz, denn sie hatte sich auf eine Brücke gesetzt, mit dem roten Kater an ihrer Seite. Ich wusste, dass das Tier Gesellschaft nicht schätzte und überlegte eine Weile, ehe ich mich entschloss mal als Säbler zu versuchen mit ihr in Kontakt zu kommen. Ich ging also in Tierform dahin, bekam es sogar hin, dass sie mir ein Stück weit ins Landesinnere folgte. Ich wählte das so, weil ich dachte, das Pergament könnte etwas Wichtiges sein, war doch ihr eigenes Bild darauf, und ich wollte sie nicht vor Wachen oder anderen, zufälligen Personen bloß stellen. Sie reagierte überraschend gut auf den Säbler, ich erschlich mir ihr Vertrauen. Dann ließ ich ihr das Pergament zukommen, sie war sehr dankbar und gerührt. So sehr, dass sie zu Weinen anfing. Sie umarmte mich und dankte mir. Dann haderte ich. Sollte ich ihr zeigen, wer ich war, ehrlich sein oder es dabei belassen und einen zutraulichen, gutmütigen Kater in ihrer Erinnerung lassen? Ich habe mich dafür entschieden ihr zu zeigen, wer ich bin. Sie wurde sauer, taumelte und ich versuchte sie vorm Hinfallen zu bewahren. Sie war entsetzt und wütend, kein Mann dürfe sie so berühren, außer der ihre. Eine Weile noch redete sie so, ich entschuldigte mich und nachdem ich nicht mehr wusste, wie ich hätte reagieren sollen, bin ich gegangen.“

„Und du denkst, du hättest es anders tun müssen?“ Orithil schüttelte auf die Frage hin den Kopf. „Nein, der Gedanke ist überflüssig. Es ist jetzt so.“ – „Aber?“ – „Naja, ich bin schon wieder jemandem zu nahe getreten, ohne es gewollt zu haben. Das tut mir leid.“ Eine Weile schwieg Calyon, ließ den Wind sein Haar tragen, nickte und dachte. „Sag ihr das.“ – „Das habe ich, mehrmals, noch an jenem Abend.“ – „Hat sie es angenommen?“ – „Ich fürchte nicht.“ Wieder schwiegen sie eine Weile, ehe er dunkelhaarige Kaldorei erneut das Wort ergriff. „Was gedenkst du jetzt zu tun?“ Orithil hob die Schultern leicht an. „Ich weiß nicht. Vermutlich ihr aus dem Weg gehen. Mein Gesicht ist jetzt mit der Erinnerung daran verknüpft. Ich will ihr nicht mehr damit weh tun, als es sein muss.“ Mit einem Brummen quittierte Calyon die Aussage. „Also flüchtest du.“ Diesmal war es der Jüngere, der eine Weile schwieg, ehe er antwortete. „Ja, ich flüchte.“ – „Heute noch immer. Wann wirst du lernen, Orithil?“ Wieder hob er die Schultern leicht an. „Wenn es Zeit dazu ist. Solange sich alles in mir wehrt, kann es nicht richtig sein. Ich gehe meinen Weg und wenn dieser heißt wegzugehen, werde ich es tun.“

Eine Weile noch saßen die beiden Elfen am Ufer des Sees bei einander. Die Sonne war aufgegangen, die Stadt zur Ruhe gekommen. Sie redeten über vielerlei Dinge, das Teehaus, die Tochter, die Gefährtin, das Leben als solches. Sie liebten diese kleinen Konversationen, die sie sich jede Woche gönnten. Es war, als würde die Familie zusammen kommen, Vater und Sohn, obwohl beide nicht verwandt, bei einander sein.