22.06.2011


Ruhig lag die Stadt da, waren die meisten Bewohner doch noch in ihren Betten oder Lagern, fröhnten dem Schlaf der Erschöpften und Müden. Zeit zum Feiern war keine, allerdings auch nicht zum Trauern: Viel zu sehr verlangte der Krieg nach Opfern. Und wenn man nicht aufpasste, war man das nächste. Weder Freude, Trauer noch sonst irgendein Gefühl durfte einen unachtsam werden lassen.

Das zumindest war es, was ich dieser Tage wahrnahm. Auf dem dünnen Lager liegend, es war warm, mitten im Sommer, ließ ich den Blick durch das Geäst über mir streifen. Sonnenlicht spielte hindurch, ließ Farben prachtvoll leuchten und fügte sie miteinander zu beständig neuen Mischungen zusammen. Neben mir hatte sich Isilya ausgestreckt. Zwar schon vom Alter her erwachsen zeigte sie noch alle möglichen kindlichen Eigenschaften. Eine davon war es, sich beim Schlafen in alle vier Himmelsrichtungen auszustrecken, leise zu glucksen. Ein wenig neidisch war ich auf sie. Sie schlief wie ein Stein. Egal, wo man sie hinlegte, sie schlief. Und bevor sie ausgeschlafen war, konnten keine zehn Säbler sie wecken. Die Tiere waren, angepasst an die nachtelfische Lebensweise, ebenfalls am Schlafen. Anarya hatte sich, wie gewohnt, auf der anderen Seite von mir niedergelassen. Nicht minder wenig Platz als Isilya beanspruchte sie für sich, aber das auch schon seit sie ein Welpe war. So war ich umgeben von zwei, für mich wundervollen, Wesen. Eigentlich hätte es nicht besser sein können, wenn man es so von außen her betrachtet. Aber doch, wenn es nach meinem Herzen ging, fehlte noch etwas.

Ich wandte seufzend den Blick vom Blätterdach, schickte ihn über die Stadt. Oder zumindest deren Tor, denn sehr viel mehr konnte ich von Darnassus von hier aus nicht sehen. Die Spitze des Tempels war gerade noch sichtbar, das grünliche Violett des Bankenbaumes glühte sanft im Hintergrund. Die Vögel zwitscherten, es hätte alles so wundervoll sein können. Wären da nicht die Kirschen gewesen.

„Dein Herz will also Kuchen backen.“ Das hatte Shiranah gesagt. Und sie hatte recht. Mein Herz wollte Kuchen backen. Mit ganz speziellen Kirschen. Aber ich bin einfach nicht sonderlich begabt in dieser Kunst des Backens. Ich kann wundervolle Kuchen backen. Aber nicht solche. Shiranah hatte nicht über das Backen an sich gesprochen. Oft hatten wir uns mittlerweile unterhalten, vor allem unsere Gefühlswelten. Kirschen stehen mittlerweile für die positiven Attribute einer Person. So besitzt Shiranah übermäßig viele. Wenn man zu viele Kirschen isst, verdirbt man sich den Magen. Demnach sind Shiranahs Kirschen, und damit sie selbst, nichts, was ich mir zutrauen würde. Aus den Kirschen einer Person konnte man Kuchen backen. Wenn man einen Kuchen backt, rührt man den Teig zusammen, tut ihn in eine Form, belegt ihn und gibt ihn in den Ofen, bis er fertig ist. Wenn man also jemanden liebt, und das voll und ganz, dann will man mit ihm zusammen Erfahrungen machen; man will Kuchen backen. Mit Shiranah wollte ich keinen Kuchen backen. Das Problem war, dass es jemanden gab, mit dem ich das gern tun würde. Wobei, das an und für sich war nicht das Problem. Eigentlich war es die Tatsache, dass ich mir das nicht zutraute. Und sie kein Interesse daran hatte.

Nach all den vielen Jahren, die ich nun ohne wirkliche Gefährtin zubrachte, war ich noch immer nicht so weit wieder wirklich auf eigenen Beinen zu stehen. Oft dachte ich an Tisha, gerade dann, wenn Isilya bei mir war. Sie war ihrer Mutter wie aus dem Gesicht geschnitten und ließ so, unbeabsichtigt, alte Wunden und Sehnsüchte wieder aufreißen. Sie konnte nichts dafür und ich war bemüht es mir nicht anmerken zu lassen. Aber auch, wenn Isilya nicht bei mir war, kam doch oft der Gedanke „Was würde Tisha jetzt tun?“ in mir hoch. Und solange dem so war hatte niemand anderes an meiner Seite und vor allem nicht in meinem Herzen Platz. Auch, wenn es noch so sehr Kuchen backen wollte.

Außerdem hatte sie überhaupt kein Interesse daran. Vor kurzem hatten wir die erste Begegnung, bei der wir wirklich für ein paar Momente allein miteinander gewesen waren. Aber es wäre gar nicht dazu gekommen, hätte Schwester Silberlaub sie nicht gebeten mit mir zu gehen. Sie war also nicht wegen mir bei mir gewesen, sondern um dem Bitten der hohen Schwester nachzukommen. Auch wenn ich finde, dass Backunterricht nichts ist, was eine Novizin wirklich können müsste. Aber ich stecke nach wie vor nicht in den Dingen drin, bekomme so etwas ohnehin nur am Rande mit. Jedenfalls haben wir Bonbons gemacht. Gestern hatte ich ihr diese über eine andere Novizin zukommen lassen, aber noch war keine Reaktion eingetreten. Wie erwartet. Innerlich kam bei diesem Gedanken kurz ein Funken Hoffnung in mir auf, den ich aber schnell wieder herunterschluckte. Selbst wenn, ja selbst wenn ich Kuchen backen können würde, selbst dann hätte sie noch immer kein Interesse. Ich meine, wie sonst interpretiert man es, wenn die wenigen Versuche, die man anbringen kann, um Zeit zu verbringen, beständig abgelehnt werden? Gut, sie war viel beschäftigt, das stimmt. Dennoch: Wenn man etwas will, nimmt man sich Zeit dafür. Das ist hier nicht der Fall gewesen. Außerdem war sie aus einem anderen Holz geschnitzt als ich. Ich zog es eher vor der Lebemann zu sein, der dahin ging und das tat, was ihm gerade in den Sinn kam. Wenn es möglich war. Zu dieser Zeit also schlug ich mich als Säblerzüchter und Teehausbetreiber. Und natürlich als Vater. Sie war Novizin, weise, intelligent und erfahren. Das waren wirklich große Kirschen. Groß und prächtig und naja… ich bin einfach kein Bäcker. Was macht man mit so großen Kirschen, wie kommt man an sie ran? Ich wusste es nicht. Und so entschied ich mich dazu diese Kirschen unangetastet zu lassen.

Das äußerte sich dann darin, dass ich mir eine Art Maske überstülpte. Eine, die sonst half mich den Frauen näher zu bringen, da sie es irgendwie „süß“ fanden. Ab und an die einfachere Art an etwas zu kommen. Jetzt aber benutzte ich genau das, um mir jene Kirschen vom Leib zu halten. Wann immer ich konnte, wann immer jemand mit mir sprach, der mich wenig kannte, fing ich an zu stottern und zu stammeln. Unsicherheit war schließlich etwas, was eine solche Novizin nicht gebrauchen konnte. Und ich war mittlerweile sehr gut darin diese Maske zu hegen und zu pflegen. Ich spielte den unerfahrenen Jungen, brabbelte und nuschelte, war nervös und zog, wenn man mich fragte warum, stets die Entschuldigung heran, ich habe ein Problem mit Frauen.

Ich fürchte, wenn man so drüber nachdenkt, wird nicht klar, warum ich das tat. Erstaunlich oft in meinem jungen Leben war es schon vorgekommen, dass ich an ihrer Stelle war. Irgendjemand, den man gar nicht gut kannte, offenbarte sich und man musste diesen dann wegschicken, weil man einfach nicht erwiderte, was einem entgegengebracht wurde. Nicht nur derjenige, der abgewiesen wird, leidet in diesem Moment. Auch der, der abweist, leidet. Er muss jemandem vor den Kopf stoßen, ehrlich sein, obwohl er weiß, dass der andere darunter leiden wird. Und das ist etwas, das ich ihr einfach nicht auch noch aufbürden wollte. Das Leben als Novizin im Tempel, das Leben für das Volk war sicherlich anstrengend genug. Zumindest wenn man den vielen Erzählungen im Teehaus glauben durfte. Warum sollte ich dann noch als Problem dazu kommen? Zumal sie vielleicht irgendwann mal eine derer werden würde, die mir Befehle zubrüllten und mich durch die Gegend schickten. So etwas durfte dann nicht zwischen uns stehen. Und ich war mir sicher, dass mein Herz irgendwann nicht mehr wünschen würde, mit ihr Kuchen zu backen. Es war nur eine Frage der Zeit. „Bis dein Herz verwelkt.“ Ja, Shiranah. Vielleicht ist es dann verwelkt. Aber immerhin habe ich sie nicht leiden lassen.