12.09.2011

 

Erfrischend ist es, das Gefühl kühleren Meerwassers an den Füßen. Meiner Meinung nach viel zu lange hab ich darauf warten müssen. Viel, viel zu lange! Dabei wollte ich eigentlich nur endlich den Brief geschrieben haben, wenn Thanris aufgewacht war. Aber anstatt dessen… herrje. Er mag das wirklich, sich ständig zu streiten. Ich nicht. Dauernd wirft er damit meine Gedanken durcheinander, lässt mich ihm geben, was ich denke, was er will, nur um das dann wieder abzuwehren und andere Sachen zu wollen. Wobei… sind das wirklich andere Sachen? Naja, andererseits, was er wirklich will, verstehe ich nicht. Er redet von Vertrauen, von Zeit, Gefühlen. Und davon, dass er darüber nicht mehr reden will. Ich jetzt auch nicht mehr. So!

Kurz entwischt mir ein demotiviertes Seufzen, als ich die Zehen im Meerwasser wackeln lasse. Er ist Essen holen gegangen. Irgendwer muss es ja tun, seiner Meinung nach. Ich habe aber gar keinen Hunger. Aber wen interessiert es? Nach meiner Meinung werde ich nicht gefragt, sie wird nur gehört, wenn ich sie laut in die Welt plärre. Dabei will ich das gar nicht. So sehr hat er mich verändert, dieser Mann.

Ich erhebe mich wieder und ziehe mich aus. Ein Meer ist dazu da, dass man darin badet. Und das wollte ich eh vorhin, also tue ich es jetzt. Ich spüre die Sonne auf meiner Haut, den Wind, der darüber und durch mein Haar streicht. Es fühlt sich so gut an, wie kann man das nicht ebenfalls erleben wollen? Warum will Thanris das nicht erleben? Warum sträubt er sich so sehr gegen so vieles, das man erleben könnte, und das so schön sein könnte? Ich verstehe ihn nicht. Dabei müsste ich doch eigentlich. Immerhin zieht er mich an wie Honig Wespen.

Warten konnte ich noch nie lange. Weder auf Aufträge, mein Mittagessen oder Kuscheleinheiten. Und auch gar nicht darauf, Wasser auf meiner Haut zu spüren. Ich renne also los, ziellos ins Meer hinein, bis ich gerade noch stehen kann. Weiter sollte ich nicht, will ich lebend wieder ans Ufer zurück. Schwimmen geht, aber nur wenn einer dabei ist und mir den Weg zeigt. Tauchen genauso. Aber es ist gerade niemand da, also belasse ich es dabei in Ufernähe umher zu wandern und mit dem gesamten Körper das Meer zu fühlen. Die Wellenbewegung, die unterschiedlichen Temperaturen, das stetige sich Ändern von Begebenheiten, die doch immer irgendwie gleich sind und trotzdem aufregend neu. Warum sollte ich auf so etwas Warten? Es ist so schön. Solche Momente könnten ewig dauern.

Von der Sicht aus betrachtet könnten auch die Küsse mit ihm ewig dauern. Käme auch sehr gut dem nahe, was ich jedes Mal dabei fühle. Er beschreibt es als unkontrolliertes Gefühl, als Ertrinken. Ich sage, man wird dabei hinfort gerissen. Hinfort gerissen und neu geboren. Wobei der Ausgang eigentlich vollkommen egal ist. Das Gerissenwerden an sich, die Bewegung, das Neue, das Unerwartete und doch Vertraute. Ständig neue Begebenheiten, ständig neue Dinge erfahren. Und doch schon alles kennen. Wie die Bewegung des Wassers im Meer, ja, der Vergleich ist gut. Auch die Küsse könnten ewig dauern. Hoffentlich hatte Thanris mittlerweile verstanden, dass ich es nicht mag, wenn man mich einfach wieder weg schubbst. Ich verstehe, dass so was nicht ewig gehen kann. Aber so abrupt und schmerzlich muss es auch nicht enden. Da macht Küssen irgendwann keinen Spaß mehr. Und gibt außerdem das Gefühl benutzt zu werden.

Huch? Da kitzelt etwas unter der Fußsohle. Ich beuge mich herunter und lange mit der Hand hin, es stellt sich nach einigem Betasten als Würgetang heraus. Lustiges Zeug. Angeblich ist es grün. Grün ist gut, das heißt, es hat was mit Pflanzen zu tun. Und angeblich ist Würgetang auch eine. Meine Finger umschließen das längliche Blatt, das sich im Wasser wiegt, und ziehen es nach oben. Außerhalb vom Wasser hängt es einfach da, setzt sich in jede Ritze meiner geballten Hand. Aus Würgetang kann man Tränke mit Bezug zum Wasser machen. Zum längeren Luft anhalten, manch einer lässt auch Magie einwirken und mit so einem Trank Leute auf Wasser laufen. Ob Thanris so was weiß? Interessiert er sich für Alchemie? Er hat mich überrascht, als er mich in Desolace verarztete. Ich hätte es ihm nicht zugetraut. Und Alchemie traue ich ihm auch nicht zu. Aber er hat mich einmal überrascht. Das geht bestimmt noch einmal.

Aber egal. Ich habe mit meinem zweiten Auftrag hier begonnen und da kommt mir der Würgetang gerade recht. Ich arbeite mich gegen die Wellenbewegung an Land, versuche dort den Tang möglichst gerade und langgezogen auszubreiten. Er soll in der Sonne trocknen. Tang fängt dabei zu riechen an, sehr stark sogar, also gehe ich gleich wieder ins Wasser. Auch wenn ich mich hauptsächlich über Geruch und Geräusch orientiere, unschönem Geruch gebe auch ich mich nicht länger hin, als ich muss.

Geruch ist ohnehin so eine Sache. Vorhin hat er mich wieder überrascht mit etwas, das ich eigentlich schon weiß. Es war mir nur irgendwie entfallen. Thanris hatte mich wieder in seinen Armen gehalten. Diesmal konnte ich den Kopf an seine Schulter lehnen. Es ist jedes Mal wie ein kleiner Himmelsflug, wenn er mich an sich heran lässt. Diesmal fiel mir auf, dass er an jeder Stelle seines Körpers irgendwie anders riecht. Das ist normal, das war bei meinen vorigen Gefährten nicht anders. Aber an ihm hat es mich wieder überrascht. Sein Hals riecht anders als sein Haar, anders als seine Schulter, anders als seine Brust. Und doch riecht alles nach Thanris. So neu, so bekannt, so anders. So unerwartet und doch vertraut. Über diese Erkenntnis muss ich laut lachen. Thanris ist wie Wasser.

Nein, ich bin im Warten nicht gut. Am liebsten möchte ich ihn gleich noch einmal anfassen, nachriechen, ob meine Erkenntnis auch wirklich richtig war. Wo ist er denn? Kommt er schon wieder? Ungeduldig drehe ich mich herum, nasses Haar fällt in mein Gesicht. Aber so was stört mich nicht, ich lege den Kopf in den Nacken und schnüffele. Ich rieche unser Lager etwas weiter im Norden, unsere Gerüche gemischt. Unsere Erinnerungen gemischt. Ich muss Lächeln. Es wird ganz bestimmt nicht unser einziges gemeinsames Lager bleiben. Ganz bestimmt. Aber von ihm jetzt keine Spur. Ouh! Schade. Er soll sich ja beeilen! Ich will es jetzt wissen, ganz unbedingt!

Irgendwie ist das alles seltsam mit ihm geworden. Ich bin mir noch immer nicht sicher, ob ich es bereuen soll mich damals verplappert zu haben und ihm erzählt zu haben, dass ich ihn liebe. Seitdem ist wirklich einiges komplizierter geworden. Aber auch einiges klarer. Noch immer bin ich mir nicht recht schlüssig, ob er ernst meint, was er mit mir tut. Oder ob es nur ein tolles Spiel ist, an dem er sein Interesse verliert, sobald es wirklich ernst wird. Andererseits… er knurrt so putzig, wenn ich seine Brust streiche. Und er regt sich immer so süß auf, wenn ich ihn süß nenne. Dabei ist er doch genau das: Süß. Verquer, vollkommen durchgeknallt, irrational, verklemmt, idiotisch, naiv, streitlustig, aggressiv und teilweise dumm. Aber süß. Die andern Sachen kann ich ihm schlecht sagen, er wird bestimmt sauer. Aber süß…. Warum soll das nicht gehen? Immerhin sind wir unter uns, und wir vertrauen uns. Da wird ein dreibuchstabiges Wort ja kein Problem sein!

Aber vielleicht ja doch? Mit einem Platschen setze ich mich ins Wasser, obwohl ich gerade noch im Stehen mit dem Kopf drüber schauen konnte. Ich finde mich also unter Wasser wieder, grinse und tauche ein paar kurze Züge in die Richtung, die ich als Ufer mir gemerkt habe. Ich liebe es so vollkommen im Wasser zu sein. Es heißt frei zu sein. Der Boden kommt mir entgegen, ich spüre es an den Füßen. Also tauche ich wieder auf, pruste und schiebe mir das Haar aus dem Gesicht. Er ist wirklich süß. Vor allem damit, dass er mich ständig überrascht. Unser erster Kuss ist noch nicht lange her und noch wirkt er dabei sehr steif und verklemmt. Aber es kommt mit jedem Mal mehr Leidenschaft hinzu, er wird zärtlicher und liebevoller. Auch etwas, was ich ihm nicht zugetraut habe.

Ich bin eigentlich davon ausgegangen, wobei ich es ohnehin für sehr unwahrscheinlich hielt, dass er ein absoluter Rüpel ist und seine Küsse eher Ähnlichkeit mit seinen Dolchstößen besitzen. Aber nein, er kann ganz flauschig sein. Und trotzdem irgendwie explosiv. Ich weiß immer nicht, was passieren wird, wenn ich irgendwie auf ihn reagiere. Es kann sein, dass er mich gleich küsst. Es kann aber auch sein, dass er mich anbrüllt und festhält. Ein Wunder, dass ich noch kaum blaue Flecken von ihm bekommen habe. Normalerweise geht das sehr schnell bei mir, aber bis jetzt war noch nichts wirklich Schlimmes dabei. Thanris zu irgendwas zu bewegen ist wie auf Messers Schneide zu gehen. Die Gefahr herunter zu fallen ist größer als Erfolg zu haben. Ironischerweise hat es sich als sehr erfolgversprechend herausgestellt, wenn ich ihn von mir weisen will. Fast automatisch klammert er sich an mich und möchte, dass ich bei ihm bleibe. Natürlich tue ich das. Wäre ja schön blöd, wenn ich wirklich einfach so versuchen würde meine Liebe zu ihm zu ersticken.

Wobei ich einmal schon wirklich ernsthaft daran gedacht habe. Aber damit fing das Spiel damals an. Ich hoffe nur, er registriert das nicht allzu schnell, dass ich bluffe. Ich fürchte dann würde er sehr, sehr sauer werden. Wieder strecke ich den Kopf in den Nacken und rieche angestrengt. Ouh, ja, jetzt. Sein Geruch ist minimal mehr geworden. Dann kommt er wohl wieder. Was er heute mitgebracht hat? Beim letzten Mal gab es Käsebrot mit Schinken. Wäre noch Salat dabei gewesen, wäre ich vor Freude tot umgefallen. Mal schauen, ich bin gespannt! Beeil dich, Thanris! Ich kann doch nicht warten!