07.08.2012

 

Nur zwei Schritt aus Lor'Danel heraus hatte es gebraucht, bis alles, sorgsam zurückgehaltene, aus mir herausbrach. Während die Augenbinde immer feuchter wurde, schickten mich meine Beine im Dauerlauf quer durch die Küste. Ohne Nachzudenken nahm ich Klippen, übersprang Pfützen, wich Bäumen aus. Binnen weniger Stunden war ich im Eschental angelangt, hatte Maestras Posten hinter mir gelassen und eine der Hordenkarawanen, die die Versorgung der Streitkräfte sicherten, lagernd ausgemacht. Ich hatte Posten bezogen, war auf einen Baum geklettert, begann zu lauschen.

Den gesamten Weg über waren mir nur wenige Gedanken im Kopf herumgegangen. War ich zu hart gewesen? Er hatte mich sogar gebeten bei ihm zu bleiben. Aber ich konnte nicht. Ich konnte einfach nicht. Wieder war passiert, wovor ich mich so fürchtete. Und diesmal war es schlimmer, denn es war nicht nur herausgekommen, dass er mir immer noch Dinge verheimlichte. Er war zu einer Frau gegangen, er hatte diese Anfälle schon so oft gehabt. Und er hatte mir nichts gesagt. Sogar seine Schülerin schien mehr zu wissen als ich. Was war ich für ihn? Er sagte, er wollte mich schützen. Aber war ich so schwach, dass er das musste? War ich so wenig wert, dass man es mir nicht zutrauen konnte derartiges zu verarbeiten? War ich so... unzureichend?

Jetzt saß ich weinend auf dieser Astgabel, allein. Der Wind spielte in meinem Haar, wehte mir direkt den Geruch der Orks unter mir entgegen. Sie aßen zu Abend, hatten Fleisch gegrillt. Grölend ergaben sie sich einem Saufgelage, wiegten sich in Sicherheit. Sie würden keine Gegner für mich sein. Aber sie würden die Aggression in mir für eine Weile abflauen lassen. Ich war wütend. Wütend und enttäuscht. Er hatte mich wieder hintergangen, wieder, wieder, wieder. Warum bettelte ich ihn noch an? Warum? War das seine Art mich loswerden zu wollen?

Ich wartete Stunden. Es wurde ruhiger in dem kleinen Lager, schließlich ließ ich mich lautlos zum Boden gleiten. Bevor ich anfing, holte ich Luft. Ich musste die Gedanken fort schieben, dringend loswerden. Sonst würde das hier mein letzter Einsatz werden. Doch heute war es so verdammt schwer. Ehe ich so weit war, war nur noch die Wache wach. Ungewohnt langsam und viel zu leise nur begann ich die ruhigen Herzschläge der Orks wahrzunehmen. Ich schlich mich um das Lager herum, bis ich im Rücken der Orkwache war. Auch dieser Mann war schläfrig, vermutlich waren sie etliche Kilometer heute gereist. Diese Sache würde fast schon zu leicht sein.

Hinter dem Ork baute sich ein dunkler Schatten auf, nur von hinten von dem glimmenden Lagerfeuer erleuchtet. Ehe der registrieren konnte, was geschah, fiel er schon gurgelnd zu Boden, tränkte das Gras mit dem Blut seiner Halsschlagadern. Einer der Schlafenden war unter dem Geräusch aufgewacht, jetzt ging es los. Mein Herz begann von einen Moment zum nächsten zu rasen, schnell und tief zog ich die Luft an. Jetzt ging es los. Der Ork war bereits dabei sich aufzurappeln, ein weiterer erwachte. Zwei schnelle Schritte brachten mich zu dem wachen Mann, einen weiteren Moment später sackte er zusammen, rutschte der Kopf von seinen Schultern in den Schoß. Ich begann einen Tanz um das glimmende Feuer herum. Nach und nach wachten die einzelnen Männer auf, vom jeweiligen Geräusch des sterbenden Vorgängers aufgeweckt.

An den Dritten führte mich ein Hechtsprung, dann teilten meine Klingen das Fleisch des Mannes. Mit einem Ruck der kräftigen Arme zog ich die Schwerter zur Seite fort, teilte den Orkkörper in zwei Teile. Ein Aufschrei entfuhr ihm noch, dann sackte der Oberkörper nach hinten, ließ die Beine alleine sitzen. Erneut tänzelte ich um das Feuer herum, ließ die violett glimmende Klinge quer durch den Schädel des Orks stoßen. Danach nahm ich Tempo auf. Zwei der verbleibenden drei Orks verloren zuerst ihr Bewusstsein, dann ihre Herzen. Der letzte Verbliebene war bereits aufgestanden und im Begriff zu fliehen, hatte bereits einige Meter zurückgelegt. Doch kein Ork würde je schnell genug sein, um mir zu entkommen. Er schrie auf, als eine seiner Kniesehnen durchschnitten wurde, fiel hin, rappelte sich wieder auf und versuchte einbeinig zu entkommen.

Ich blieb stehen. Aus irgendeinem Grund war mir das Töten dieser ungewollten Spezies nicht so befriedigend vorgekommen wie sonst. Noch immer kochte spürbar die Wut in mir, ließ die Finger um die Schwertgriffe zittern. Thanris erneute Lügen waren mir wie ein Verrat vorgekommen. Ein Verrat an dem, was wir beiden sein sollten. Ein Verrat an dem, was er stets behauptete mit mir sein zu wollen. Er hatte mich gebeten bei ihm zu bleiben. Aber bei ihm zu bleiben hätte geheißen einfach zu akzeptieren und alles genau so, wie es war, fortzuführen.

 

Der Ork war jappsend zwischen ein paar Bäume gehumpelt, fort vom Lager. Sein Herz hämmerte wild gegen seine Brust, der beständige Ton schlug wie ein Glockenschlag im meinem Kopf. Er sollte sterben, ehe ich davon wahnsinnig wurde.

Als der Ork sich umdrehte, weil er am Rande hinter sich meine Bewegung wahrgenommen hatte, hatte er noch genau fünf Sekunden zu leben. Sekunde eins verbrachte er damit den leeren Fleck, an dem ich eben stand, anzusehen. Sekunde zwei benötigte er, um sich herumzudrehen. Sekunde drei brauchte er um mich direkt vor ihm zu registrieren. Sekunde vier ließ ihn erschrecken. Sekunde fünf sah er mich ungläubig an. Sein Herz hatte aufgehört zu schlagen. Ich zog die Klinge aus seinem Herzen, rücklings fiel er zu Boden. Uruk'Gurz. Der Orkschlächter, hatte wieder zugeschlagen. Aber dieses Mal nicht aus einem Auftrag heraus, sondern aufgrund von Emotion.

Eine Weile noch stand ich still einfach im Wald herum. Es war völlig ruhig geworden, man konnte die Eule ihr einsames Lied bringen hören. Wenn ich so darüber nachdachte, hatte ich nicht viel andere Wahl. Egal, was ich wollte, ich würde zu Thanris zurück müssen. Aber dieses Mal sollte ich nicht mehr dem Trugschluss und der Hoffnung erliegen, irgendetwas würde sich bessern. Es würde sich vermutlich niemals bessern, denn das war Thanris. Er war nun einmal stur. Und scheinbar war es einfach so, dass ich für ihn der schwache Mann war, den es zu beschützen galt. Und dabei war es irrelevant, ob dem wirklich so war. Vermutlich war ich einfach wirklich unzureichend.

Still schweigend setzte ich mich in Bewegung, direkt nach Astranaar. Nun stand es also fest, ich war für ihn unzureichend. Dieser Erkenntnis bedrückte mich, aber sie war die Wahrheit. Und damit allemal besser als eine ewige Lüge oder Selbstbetrug. Ich würde zu Thanris zurückgehen. Ich würde ruhig sein. Immerhin war er am Ende seiner Kräfte und brauchte nicht noch ein Problem. Ich würde es so aussehen lassen, als wenn alles in Ordnung wäre. Und ich würde ihm dabei helfen dieses Problem zu überwinden.

Als ich den Zügel des Hippogryphen annahm seufzte ich aus. Mit einem behänden Schwung hievte ich mich auf seinen Rücken, ließ das Tier gen Darnassus fortfliegen. Wenn Thanris sein Problem überwunden hatte, würde er allein laufen können. Er würde keine Hilfe mehr benötigen. Und keinen nervenden Klotz an seinem Bein. Ich war der Punkt, der ihn schwach machte, der zu viel seiner Aufmerksamkeit forderte, der ihn in Bahnen lenkte, die für ihn nicht vorgesehen waren. So weit hatten Hanyariel und Sira recht gehabt. Letztendlich musste ich mich dem beugen. Ich war weder besonders, noch für ihn geeignet. Ich war nicht, was er brauchte. Also würde ich gehen, sobald ich konnte.