07.12.2011

 

3... 2... 1... Wie auf Kommando ertönte der laute Knall der Explosion, ließ mit ein paar Sekunden Verspätung eine Druckwelle folgen. Perfekt. Währrend die Wesen unterhalb der Klippe, auf der ich Stellung bezogen hatte, durcheinanderliefen, entspannte ich mich völlig. 3... 2... 1... und zuverlässig blendeten meine Ohren alle Störgeräusche heraus. Neben mir hätte jemand brüllen können, ich hätte es nicht gehört. Was ich aber hörte waren die aufgeregten Herzschläge meiner "Opfer" unterhalb von mir. Sie rannten tatsächlich zunächst noch durcheinander, begannen sich aber beständig von mir weg zu bewegen. Noch ein klein wenig mehr und die Falle schnappte zu.

3... 2... 1... und schließlich waren sie alle zur Stelle der Explosion gelaufen. Ich setzte mich auf, ließ die Fingerspitzen durch die Nacht vor mir streifen. Noch immer war hier Schatten. Und dem Echo zufolge war auch unterhalb von mir das meißte meines Weges durch Bäume und Zelte in den Schatten getaucht worden. Wie Wasser, das einen Vorsprung herunterrann, ließ ich mich von der Klippe rutschen. Beständig quitterte mir der leicht kühlere Lufthauch an meinen Fingerspitzen, dass ich im Schatten verborgen war. Nahezu lautlos trafen meine Füße nach einer kleinen Rutschpartie über erdige Felswand auf festen, gerade gepflasterten Boden. Kurz lauschte ich, zog mit einem kontrolliert ruhigen Atemzug Luft ein. Der Geruch der Lebewesen war schwächer, die Laute ebenso. Ich war allein.

Wenn jemand hergesehen hätte, hätte er vermutlich nur den Hauch einer Bewegung wahrgenommen und sie für Wind im Buschwerk oder Ähnliches gehalten. Man musste schon wissen, was man suchte und selbst dann wäre es schwer gewesen mich hier auszumachen. Das Terrain war einfach zu perfekt für mich. Ein Hain, umgeben von einer Klippe, nur ein Ein- und Ausgang, direkt gegenüber von der unruhigen See Dunkelküstes. Man hatte tatsächlich die meisten Bäume und Büsche am Rand stehen lassen, als man hier begonnen hatte zu graben. Vermutlich zur Bequemlichkeit waren unebenere Stellen sogar gepflastert und so geebnet worden. Es war mitten in der Nacht, der Mond von Wolken verdeckt. Meinen Sprengsatz hatte ich direkt auf der gegenüberliegenden Seite positioniert und zünden lassen. Diese halb untoten Drohnen mit dem ausgeprägten Herzschlag hier waren viel zu leicht manipulierbar gewesen.

Etwas erhöht lag mein Ziel. Ein kleines Zelt, in dem ein zur Kommunikation genutzter Kristall sich aufhalten sollte. Ich war noch gute zwanzig Meter entfernt, aber seine magische Aura war jetzt schon spürbar für mich. Irgendetwas aber war seltsam. Kurz vor Eintritt in das Zelt verharrte ich. Die Luft war wärmer, aber ich konnte kein lebendes Wesen fühlen. Einige Sekunden lang wartete ich, dann hob ich den Stoff des Vorhanges an und schlüpfte, einem Schatten gleich, hinein.

Sofort schlug mir ein wohl bekannter Geruch entgegen, ließ mich geduckt in die Knie gehen. Ich vernahm das leise Rascheln seiner Robe, dann fühlte ich seinen Blick auf mir. "Na mein Guter, gesellst du dich wieder zu mir?" Ein Seufzen entfuhr mir. Bei den Göttern, musste der Kerl denn überall sein? Vertrauensseelig rappelte ich mich auf, stellte mich vor ihm hin. "Scheinbar." "Gut, sonst hätte ich das Ding hier ja irgendwem in die Hand drücken müssen." Es folgte ein auffordernder Druck gegen meine Hand. Ich nahm das Ding entgegen, ließ beiläufig meine Finger über seine Hand streichen. Sanft drang ein leises, wohliges Aufseufzen an mein Ohr, ehe er sich um mich herum bewegte, hinter mir stehen blieb. Ich erfühlte ein Kästchen, aus dem abgemildert die Magie des Kristalls drang. "Wie kommt es, dass ein Mitglied des Schattenhammers mir etwas so wichtiges einfach überlässt?" Von hinten schlang er die Arme um meine Taille, ließ meinen Rücken seine Brust fühlen. "Nennen wir es ein Geschenk aus Liebe. Außerdem sind wir hier ohnehin fertig, der Zirkel war wohl leider etwas langsam." Ich nickte und schwieg, der Umklammerung war ich erst einmal ausgeliefert. Sein Geruch stieg mir in die Nase, benebelte mich. Zufriedenheit stellte ich in mir ein, das Gefühl nach Geborgenheit, Sicherheit. Viel zu lang vermisst...

Als seine Lippen sich auf meine Wange legten stockte kurz mein Atem. Die Umarmung wurde sanft, hatte nicht den Hauch von Festhalten oder Gefangenschaft. Hätte ich gewollt, ich hätte gehen können. "Das kann er nicht, mh? Wie ich es dir sagte, mich kannst du nicht ersetzen. Vorallem nicht durch so jemanden." Er sprach von Thanris. Seine Worte hatten wieder jeden Liebreiz verloren, waren zu schneidenden Messern aus Eis geworden. Der Gedanke an Thanris stieg in mir hoch, ließ Unwohlsein in meine Adern kriechen. Mit einem Schritt nach vorn entzog ich mich ihm und drehte mich zu ihm herum. "Würdest du ihn leben lassen, kehrte ich zu dir zurück?" Eine Weile herrschte Stille. "Komm, ich bringe dich nach Lor'Danel zurück."

Eine oder zwei Stunden mussten es gewesen sein, die wir durch Dunkelküste zurück nach Lor'Danel gingen. Meist schwieg er, sprach nur um mir den Weg zu weisen oder mich vor Dingen zu warnen. Zu meiner Überraschung ging keine Sekunde lang Gefahr von ihm aus. Auch dann nicht, als wir kurz vor dem kleinen Ort zum Stehen kamen. Fast schon zärtlich legte sich seine Hand um die meine,als er sich zu mir umdrehte. "Manchmal tut es mir leid, was geschehen ist. Dann aber denke ich, dass ich es wieder so tun würde. Ich will dir helfen. Wollte es schon immer. Ich willdich bei mir haben, koste es, was es wolle." Wieder sprach er ruhig, ließ mir die Zeit seine Worte zu verdauen. Und das musste ich auch, war er doch selten so ehrlich zu mir gewesen. "Letztlich aber ändern sich die Zeiten. Anstatt dich mit mir zusammen zu ändern bist du deinen Weg gegangen. Aus welchen Gründen auch immer. Wie soll ich dir vertrauen, wenn du deine Entscheidungen alleine fällst? Das kann ich nicht. Ich konnte es auch damals nicht. Wenn du mir wirklich helfen willst, dann akzeptiere, für was ich mich entschied und lass mich mein Glück selbst finden." "Weiß er von dem hier?" Ich runzelte die Stirn, dann schüttelte ich den Kopf, schwieg. "Du führst ein Doppelleben, gaukelst ihm vor, was am bequemsten ist. Du hast Geheimnisse. Das Gleiche macht er. Denkst du, das ist eine Grundlage? Wo soll das hinführen?" Ich schluckte. Er hatte recht, es war keine Grundlage. Für nichts, außer Hirngespinste. "Und du? Nennst du mich im Schnee zu vergewaltigen, mir das Fleisch von den Armen trennen und mich aller Gefährten zu berauben eine Grundlage?" "Es war zu deinem Besten. Du kannst und wirst nur mit mir glücklich werden." Ich spürte es in mir aufschreien, sich wehren. Doch das Einzige, was ich herausbrachte, war ein Fauchen. "Hier ist nichts zu meinem Besten! Da nehmt Ihr euch beide nichts! Der eine zu selbstverliebt, um mich zu sehen, der andere zu unterkühlt, um irgendwas zu verstehen. Kapierst du das nicht? Ich habe die Wahl zwischen Regen und Traufe. Natürlich entscheide ich mich für denjenigen, der mich nicht einfach wie Dreck behandelt und versucht meine Seele zu brechen!" Jetzt war er es, der schwieg. Wie er mir zuvor ließ ich nun ihm die nötige Zeit. Seine Finger um meine Hand verkrampften sich. "Und dennoch brichst du jeden Tag ein Stück mehr." "Und? ob ich nun langsam aus eigenem Willen breche oder zerbrochen werde von dir, das ist doch völlig egal." "Letztlich wirst du zu Grunde gehen..." Mit einem tiefen Atemzug entzog ich mich seinen Fingern. Ohne abzuwarten ging ich den kleinen Hügel nach Lor'Danel herunter. Nur leise drangen seine Worte noch an mein Ohr. "Ich würde ihn in Ruhe lassen."

Bewusst langsam ging ich den Weg zum Hippogrhenmeister und ließ mir dort ein Tier für den Rückflug geben. Bald war die Nacht zu Ende und Thanris würde heim kehren. Bis dahin musste ich im Bett liegen. Kath hatte recht gehabt. Und gerade diese Erkenntnis schnitt eine tiefe Wunde in mein Bewusstsein. Letztlich würde ich zu Grunde gehen. Würde Thanris das überhaupt interessieren? Würde er es überhaupt bemerken? Wie sehr liebte ich ihn eigentlich? War ich nicht verblendet auf meiner Suche nach Zuneigung und Sicherheit gewesen, als ich ihn erwählte? Wer war er überhaupt? Doch egal wie oft ich mich das fragte, zu einer Antwort kam ich nie.

In Darnassus angekommen schlich ich mich erstmal zu den Zellen hinunter. Larila wartete schon, half mir Waffen und Rüstung abzulegen, mich neu einzukleiden. "Ich bringe den Kristall zu Bärenfährte. Danke dir, Ain." Letztlich nickte ich nur, ging stumm meinen Weg nach hause. So schnell als möglich sollte ich Calyon außerdem Bericht über diese Wintertanz erstatten. Ein genauso zweischneidiges Schwert wie Thanris. Mal schauen, was das geben würde.

Bevor ich den Weg zu seinem Zimmer hinauf ging, stoppte ich. In einem Anfall von Zweifeln legte ich den Kopf in den Nacken, spürte beruhigend das kühle Mondlicht auf meiner Haut. Immerhin das war da, dessen konnte ich mir sicher sein. Beiläufig strich ich mir eine Strähne aus dem Gesicht. Ein leichter Hauch von Wohlgefühl keimte auf, als sich behutsam sacht der Duft Kath'ranis' über mein Gesicht zog. Er würde immer da sein. Da war meine Sicherheit. Warum nur musste das alles so übermäßig kompliziert sein? Warum konnte Thanris mir nicht einfach die Sicherheit geben, die ich brauchte? Es wäre so wundervoll mit ihm gewesen. Anstattdessen bekam ich von ihm die Rücksicht, die mir bei Kath fehlte. Und von Kath die Sicherheit, die mir bei Thanris fehlte. Bei Elune, irgendwann bringen sich die beiden nochmal wegen mir um. Wollte ich sie schützen, hätte ich gänzlich vom Erdboden verschwinden müssen. Wobei, auch dann wären sie sich an die Kehle gesprungen. Dann war es wirklich nur die Wahl zwischen Regen und Traufe. Vor die Hunde würden wir alle drei gehen.