14.05.2012


Es macht keinen Unterschied, ob man die Augen öffnet oder nicht. Es ist und bleibt dunkel, Nacht, kalt. Über eine Woche nun war er fort. Über eine Woche, die ich nun allein war, die ich nachts allein in meiner Decke lag und lediglich die Kälte seiner Klinge neben mir spürte. Ich war zwiespältig mit Finsternis. Einerseits begann ich diese Klinge, die an meinem Inneren zog und Gefühle aufwirbelte, zu lieben. Andererseits hatte ich viel Respekt vor ihr. Sie gehörte Thanris, nicht mir. Er war ihr eher gewachsen als ich. Aber sie stellte meine einzige Verbindung mit ihm her, wenngleich auch diese eher zufällig war. Als wir das letzte Mal getrennt waren, erlaubte sie mir ihn zu sehen. Nun waren wir es wieder, doch noch wartete ich auf ihre Eingebung.

Ich rollte mich im Bett auf die andere Seite. Finsternis lag neben mir, in die Decke eingeschlagen, an jenem Platz, der sonst der seine war. Schlafen, also wirklich erholsames Schlafen, war mir nur selten möglich. Ohnehin war es seltsam: Wenn ich schlief und aufwachte klammerte ich an dem Schwert, als wäre er es selbst. Doch sogar durch die Decke hindurch nahm ich ihre Kühle wahr, erschrak immer wieder davor und ließ sie gehen. Ich sehnte mich nach der Wärme seiner Haut, dem tiefen Brummen seiner Stimme und der kräftigen Umarmung. Doch scheinbar sehnte ich mich noch nicht genug, war Finsternis doch noch immer nicht bereit mir einen Blick auf ihn zu gewähren.

Ich streckte die Hand nach ihr aus. Kühl fühlte sich der Griff an, als ich meine Fingerspitzen darauf legte. Ich strich darüber, schob die Decke beiseite als würde ich einen Schatz bergen wollen. Heute war Thanris‘ Brief gekommen. Sehnsucht und das beklemmende Gefühl von Einsamkeit und Verlustangst keimten in mir auf. Ich hatte der Botin den Brief regelrecht aus den Fingern gerissen und war zu Orithil gelaufen. An seinen Lippen hatte ich regelrecht gehangen, als er mir vorgelesen hatte. Doch dann war es auch schon wieder vorbei. Zwei, drei Mal las er mir den Brief vor, ehe er meinte sich wieder seiner Ausbildung widmen zu müssen. Seitdem war ich heute allein gewandert, bis ich schließlich demotiviert entschloss den Tag zu verschlafen. Larila wollte ich dieser Tage nicht sehen, sie zeigte neuerdings seltsame Anwandlungen, wenn ich allein war.

Tiefer schlug ich mich in die Decke ein, zog sie bis über den Kopf. Thanris sollte wiederkehren. Ich hatte gesagt, ich würde es durchhalten ohne ihn. Aber nach über einer Woche nun war ich mir nicht mehr sicher. Wintertanz und Felah, wenn sie nach Unterricht bei mir ersuchten, lenkten mich ab. Doch immer wieder zog Finsternis mich zu sich, mit der trügerischen Hoffnung irgendwie doch etwas von ihm zu erhaschen. Das Gefühl zermürbte mich, ließ mich beständig unruhiger werden. Wenn er doch nur bald wiederkäme, dann hätte all dies ein Ende. All diese Unsicherheit, all diese Zweifel. Wie von allein streckte sich meine Hand aus, kam unter der Decke hervorgekrochen und ließ die Finger wieder über den Schwertgriff streichen. Langsam verstand ich, warum er sie immer bei sich haben wollte.

Mit einem Aufseufzen schloss ich den Griff fest um das Schwert, zog es wieder unter die Decke und klammerte mich darum. Wenn sie mir doch nur ein einziges Mal noch zeigen könnte, was er tat und wo er war. Wie ging es ihm? Hatte er viel zu ertragen, war er in Sicherheit? Waren meine Sorgen begründet oder nur wieder Wahn einer gequälten Seele? Die Beklemmung, die ohnehin dieser Tage auf mir lag, kroch mir in den Nacken, ließ die Haare sich aufstellen. Liebe war ein niederträchtiges Ding, wenn man nicht haben konnte, was man wollte.

Ruhig atmend lag ich eine Weile still da. Normalerweise war es seine Umarmung, die mich von solchen Gedanken wegbrachte, den Geist fortwischte und nichts als Ruhe über ließ. Das selbstständig Herbeizuführen war mehr als anstrengend, zumal ich diesen Zustand nicht mehr länger öffentlich zeigen konnte. Ich war nun Ausbilder, hatte die Verantwortung für Wintertanz zu tragen. Außerdem hatte ich wirklich so langsam etwas wie eine Einheit unter mir. Noch ein Grund mehr Thanris’ Ersuchen nach meinem Erwachsensein nachzugeben. Ich musste zwingend ruhig werden und bleiben, vernünftig und verantwortungsbewusst. Wie sehr ich Selbstbeherrschung hasste.

Thanris wollte mir den Kopf waschen, wenn er wiederkommt. Ich musste grinsen. Ob er mir dann auch die Haare kämmen würde? Das hatte er ohnehin noch nie so wirklich gemacht, obwohl er mal gesagt hatte, dass er sie mir sogar schneiden wolle. Wie auch immer, dafür wurde es eh bald Zeit. Was mich wieder herunterholte war der Gedanke an Calyon. Ich verstand, dass ich nicht zu ihm gehen sollte. Das hatte ich auch nicht vor, immerhin verlangte er es von mir. Seltsamerweise hatte er irgendwo recht. Normalerweise war Calyon öfter mal da gewesen, hatte sich erkundigt. Seit Wochen schon war nichts dergleichen mehr geschehen. Auch Orithil hatte gemeint keine Besuche mehr erfahren zu haben. Ich hoffte nur inständig, dass Thanris auf seinem Ausflug wirklich nicht deswegen in Bedrängnis kam. Calyon war alt. Wenn ihm irgendetwas zu schaffen machte, dann war es etwas wirklich Gefährliches.

Ich schloss die Augen, ließ ein Seufzen wieder über meine Lippen gleiten. War es nicht so schon anstrengend genug? Musste mir das jetzt auch noch den Kopf zerbrechen? Tiefer kuschelte ich mich in die Decke, zog die Schultern an, umklammerte Finsternis fester. Es war wirklich höchste Zeit, dass er wieder kam. Egal wie ich es drehte und wendete, allein war ich wirklich hilflos und vor allem dauerhaft überfordert. Oh bitte, Thanris, beeil dich. Jeder Tag ist einer zu viel.