04.07.2011

 

Noch immer lief er seine Runde durch die Stadt, obwohl der Morgen bereits graute. Stunden waren jetzt vergangen, in denen er einfach nur gelaufen war, geschaut hatte und weitergelaufen war. Seiner Meinung nach hätten mittlerweile tiefe Furchen in den Wegen Darnassus’ von ihm vorhanden sein müssen. Nach all den Stunden des Laufens, hatte er auf seiner Suche keinen Erfolg gehabt. Der einzige Erfolg lag darin, dass er mittlerweile müde geworden war und so etwas wie eine Beschäftigung hatte ergattern können. Wenn auch eine wenig erstrebenswerte. In all den Stunden hatte er die kartographierende Schwester der Schildwachen nicht gefunden. Vielleicht war er beim Aufbessern der Rüstungen und Waffen doch besser aufgehoben.

Sein Weg führte ihn zum nächsten Gasthaus. Die Sonne drang mittlerweile durch das Laub Teldrassils, warf helle Schatten im Spiel mit den Blättern auf den Boden. Der Großteil der Stadt schlief bereits, auch für ihn war es nun Zeit. Der Gastwirtin reichte Leithians grimmiges Nicken als Begrüßung, war sie selbst doch schon mehr als müde und durchaus erbost darüber, dass ihr letzter Gast so lang auf sich hatte warten lassen. Und noch immer tat er es nicht besser: Leithian behielt alle Zeit der Welt bei, entledigte sich im Schneckentempo seiner Kleidung und legt sich ebenso langsam erst zu Bett. Erst jetzt wünschte ihm die Wirtin einen erholsamen Schlaf, ehe sie sich zurückzog um sich eben jenen selbst zu gönnen.

Der dunkelhaarige Elf lag in seinem Bett, auf dem Bauch, die Decke bis in den Nacken gezogen. Bösartig stierte er die Ecke des Bettes an, ab und an knurrte er. Leithian hing seinen Gedanken nach. Der wenig ruhmreiche Ausflug nach Uldum war also beendet. Nachdem er nichts, absolut gar nichts, hatte herausfinden können, (wie denn auch ohne Säbler?) war er wieder zurückbeordert worden. Allein war er gekommen, hatte seinen knappen Bericht erstattet und wurde dann wiederum dazu verdonnert in der Stadt auf seine nächsten Befehle zu warten. Er hatte seine Rüstung zum Ausbessern gegeben und musste sich nun mit der leichten Rüstung eines Rekruten durch die Stadt bewegen. Viel zu leicht, seiner Meinung nach, trugen sie doch noch nicht einmal Platte sondern nur Kette. Wie würde er sich freuen das schwere Ding wieder an seinem Körper zu spüren; und sich dem damit zusammenhängenden Schutz wieder sicher zu sein. So wie Mathiel, der nachtelfische Schmied, ihn angesehen hatte und plötzlich knurrig geworden war, dürfte es bis dahin aber eine recht lange Weile dauern.

Murrend ob der Erkenntnis rollte er sich herum, stierte die andere Bettecke an. Wieder allein zurückgekehrt. Langsam schlich sich die Erkenntnis wieder in sein Bewusstsein, dass Alleinsein doch der Schlüssel zum Erfolg war. Wer allein war musste keine Rücksicht nehmen und konnte effizient seinem Ziel folgen. Er kam einfach besser damit klar, fühlte sich wohler. Natürlich, ab und an wünschte auch er sich die Sicherheit einer warmen Umarmung. Aber im Grunde selten und es ließ sich leicht in den Hintergrund schieben. Er hatte nie wirklich Interesse daran gehabt jemanden selbst diese Art Sicherheit zu geben oder aber sie dauerhaft von jemandem zu empfangen. Mit einer Ausnahme.

Zin Schattenmond war es gewesen, die mit ihrer Arroganz, Sturheit und ihrem Temperament ihm so viel hatte entgegenzustellen gewusst, dass er psychisch an einen Grenzpunkt gekommen war. Eigentlich mochte er solche Punkte, halfen sie ihm doch dabei sich selbst zu entwickeln: Über Grenzen konnte man herübergehen, wenn man sich traute. Und er traute sich, mochte das euphorische Gefühl, wenn er Angst und Unsicherheit überwunden hatte. Meistens erwuchs Sicherheit daraus, denn man konnte unbefangen noch weiter gehen. So war auch Zin zu einem sicheren Bestandteil seines Lebens geworden.

Jemand Kluges (was er ja offenkundig nicht war), hatte ihm mal gesagt, dass Träume etwas Wunderbares sind. Aber sie werden erst dadurch wunderbar, dass man sie loslässt in dem Moment, in dem man sie erfüllt bekommt. Denn nur dadurch sei es möglich sich neuen Träumen zuzuwenden. Er hatte noch viele Träume mit Zin gehabt. Leithian hatte es geliebt sich mit ihr zu streiten, zu versöhnen, sie wieder aufzuziehen. Ein ums andere Mal, immer wieder. Und dabei immer sicher sein zu können, dass sie den Tag dann doch wieder beisammen in Eintracht verbringen würden. Doch nach der kurzen Zeit damals war sie ihm wieder genommen worden, hatte seine Sicherheit ihn verlassen. Und das erste Mal in seinem Leben hatte er sich wirklich alleine gefühlt.

Er würde sich niemals daran gewöhnen können. Egal wie grob, stur, bockig oder dumm man ihn einschätzen musste, ein Herz hatte er. Das war die Lektion, die sie ihn gelehrt hatte, auch mit ihrem Tod. Vielleicht gerade mit diesem. Denn nie zuvor hatte er so sehr vermisst, so sehr getrauert, so sehr gelitten. Noch heute schmerzte es ihn nicht nur psychisch, sondern auch physisch, wenn er über sie nachdachte. Ja, er war sich sicher, auch in ihm schlug so ein Ding, das Gefühle hatte und ab und an ans Licht wollte, ob er es wollte oder nicht. Doch mit wem sollte er seine Träume nun weiterträumen? Wieder allein? Vielleicht ja, vielleicht nein. Er wusste es nicht.

Asarhia Dämmerzorn war ihr Name gewesen. Oder ist es noch, er glaubte nicht, dass jemand so zähes einfach so den Löffel hingab. Sie jedenfalls war eine Weile seine Kampfgefährtin gewesen und hatte dadurch mehr von ihm erfahren, als er gewollt hatte. Im Nachhinein betrachtet waren die Küsse mit ihr wohl doch nur der Versuch gewesen sich an irgendetwas halbwegs Bekanntes zu klammern, mit minderem Erfolg. Für eine Weile hatte er über dem Kämpfen und in den Armen der Frau seine Gedanken an Zin beiseite schieben können. Doch im Nachhinein betrachtet war es eher Feigheit als Mut, Verzweiflung statt Zielstrebigkeit gewesen, die ihn diese Dinge hatte tun lassen. Und so war er nahezu erleichtert darüber allein wiedergekehrt zu sein, auch wenn er nicht wusste, wo Asarhia war und was sie tat.

Jetzt also lag er in diesem Bett in Darnassus. Das Bett, das er sich viele Male mit Zin geteilt hatte. Es war so anders als sein Lager im Wald, aber dahin wollte er nicht mehr zurückkehren. Er wollte sich nicht mehr dem Leiden, das diese Erinnerungen in ihm hervorriefen, hingeben. Er wollte sie nicht mehr verstecken. Auch in ihm schlug so ein Ding, das Gefühle hatte. Und genau das konnte und sollte doch alle Welt sehen. Seine Gefährtin war gegangen. Manch ein Elf trauerte tausende Jahre danach noch darüber. Und bei ihm war es nicht einmal ansatzweise so lang her. Wer kein Verständnis dafür hatte, war es nicht einmal wert mit ihm zu reden. Er selbst war ja schon nicht der hellste. Aber wenn sogar er es schaffte so etwas zu verstehen, musste es für andere eine Leichtigkeit sein.

Wieder warf er sich auf dem Bett herum. Irgendwie störte ihn etwas. Die Art der Decke? Die Position? Er wusste es nicht. Nun blickte er in die von Sonnenlicht eroberte Stadt hinaus. Für immer würde Zin einen Platz, nein den Platz, in seinem Herzen haben. Und niemand würde ihr diesen streitig machen können. Auch das war eine Art Sicherheit. Und Sicherheit war es, nach dem er ihm immer und immer wieder strebte. Beruhigt über diesen Gedanken gähnte er, vermochte schließlich die Augen zu schließen. Nach einem letzten Gedanken umfing ihn schließlich der erholsame Schlaf, nach dem sein Körper nach Stunden des Laufens so geschrien hatte.

Für immer dein Platz, Zin.